2007: G-8-Gipfel in Heiligendamm rückte Reddelich in das Interesse überregionaler Medien

Im Rahmen des G-8-Gipfels, der im Juni in Heiligendamm stattfand, stellte Reddelich im Gewerbegebiet Fläche für ein Camp von Gegnern des Gipfeltreffens zur Verfügung. Durch diese, in der Gemeinde kontrovers bewertete, Entscheidung der Gemeindevertretung rückte Reddelich zeitweise in den Fokus der Berichterstattung rund um den Gipfel.

Stimmen aus der Gemeinde vor dem G-8-Gipfel:

Im Gewerbegebiet der 690-Seelen-Gemeinde wird am Gipfel-Camp gebaut. Junge Leute in Zimmermannskluft schleppen Holz heran. Reden wollen sie nicht. Fotografiert werden auch nicht. 5000 Gipfelgegner sollen hier Unterkommen. Metzger Axel Hackendahl (40) reicht, es: „Ich hab' die Schnauze voll!" Das Camp grenzt an sein Firmengelände und seine Lebensbaumhecke am Einfamilienhaus. Gefragt hat ihn niemand. „Wenn 5000 Leute tagelang gegen meine Hecke pinkeln, ist die hin." Hackendahl hat mit dem „Vorauskommando", wie er sagt, geredet: „Die Kumpels da von den Demonstranten haben mir empfohlen, ich soll mal meine Werbeschilder abmontieren. Sonst gibt das Ärger.“ 80 Prozent der Leute im Camp seien Veganer und Vegetarier. Auf seiner Werbung läuft eine Sau durchs Bild. Messer und Gabel im Rücken. „Die haben mir gesagt, auf Typen wie mich seien die nicht so gut zu sprechen. Jetzt habe ich Angst um unsere Existenz."

Reddelich, im März 2007

Michael Joppeck (37) hat vorgesorgt. 2,40 Meter ist der Zaun hoch, der seine Firma umschließt. Messerscharfer Nato-Draht oben drauf. Das gleiche Modell, das Heiligendamm umgibt. Joppecks Sicherheitsdienst und Kommunalservice grenzt ebenfalls ans Camp. Die Demonstranten seien auch auf ihn „ein bisschen sauer", da er den Zaun nach Heiligendamm transportiert hat. Joppeck will Kameras mit Nachtsichtgeräten installieren. Die Firma sei rundum besetzt. Seine Diensthunde laufen hinter dem Zaun. „Das wollten die uns verbieten. Muss man sich mal vorstellen! Die kommen hierher und wollen den Leuten ihren Willen auf diktieren. Die sind Gäste hier!"

Reddelich, im März 2007

Erhard Rünger (60) sieht alles entspannt. Der parteilose Bürgermeister von Reddelich wurde nicht gefragt, als der Landkreis seiner Gemeinde ein Demonstranten-Camp aufdrückte. „Na gut, wir werden jetzt beschimpft, dass wir das genehmigt haben. Aber irgendwo müssen die doch hin. Sonst wären die illegal gekommen." Jetzt steht er mit Leuten des globalisierungkritischen Netzwerks Attac in Kontakt. Die seien sehr kooperativ. „Wir haben das vertraglich geregelt. Die hinterlegen 5000 Euro Kaution und schließen eine Versicherung ab oder die Kaution erhöht sich auf 10 000 Euro." Bleibt alles heil und der Müll ist weg, gibt es das Geld zurück. Sonst werden daraus Schäden beglichen. Sei doch ein guter Deal.

Reddelich, im März 2007

Etwa sechs Hektar umfasst die Fläche für das Camp. Darüber hatten die Organisatoren bereits mit der Gemeinde eine Nutzungsvereinbarung geschlossen. Die Veranstalter erarbeiteten ein Konzept, das wir als Behörde prüften und nach Feinabsprachen unter Auflagen genehmigten. Vom 29. Mai bis 10. Juni dürfen G8-Kritiker in Reddelich ihre Zelte aufschlagen. Auf dem Rest des Gewerbeareals befinden sich Ansiedlungen von Unternehmen, öffentliche Straßen, Grünflächen. Beispielsweise müssen sie Parkflächen für 1000 Autos und Raum für Busse sowie Wohnmobile Vorhalten. Das kann auf der angemieteten Gewerbefläche oder privatem Areal geschehen. Auflage ist beispielsweise, dass die Straßen inklusive Wendeanlage vom ruhenden Verkehr freizuhalten sind. Die Zuwegung für Einsatz- und Rettungsfahrzeuge muss freibleiben, sodass Ordnungskräfte stets durchkommen. Die Veranstalter haben Sorge zu tragen, dass sich Behinderungen auf ein Minimum beschränken. Das bedeutet auch, dass Anlieger jederzeit ihre Grundstücke erreichen, Unternehmen ungehindert ihr Gewerbe ausüben.

Zudem stellen die Veranstalter einen eigenen Sicherheits- und Rettungsdienst. Der prüft und entscheidet, wer sich auf welcher Fläche niederlässt. Mit diesen Kräften stehen wir in Kontakt. Zum anderen werden wir Kontrollen durchführen. Bei der Frage des Lärms gibt es konkrete Vereinbarungen. So sollen die Organisatoren sonntags bis donnerstags ab 22:00 Uhr, freitags und sonnabends ab 24:00 Uhr verstärkt auf Ruhe achten.

Um die Versorgung der Camp-Insassen kümmert sich der Veranstalter, der sogenannte Volksküchen einrichten will, wo gemeinsam gekocht wird. Alkohol darf nur in begrenztem Maße ausgeschenkt werden. Etwa 100 Dixie-Toiletten stellen die Organisatoren auf, zudem richten sie 60 Dusch- und 150 Waschplätze ein. Mit dem Zweckverband „Kühlung" haben sie eine Vereinbarung über die Versorgung mit Trink- und die Entsorgung des Abwassers geschlossen. Den Müll haben sie selbstverständlich auch auf eigene Kosten zu entfernen. Gesundheits- und Umweltamt sind involviert.

Die Veranstalter haben eine Kaution von 5.000 Euro zu hinterlegen. Zudem müssen weitere 5.000 Euro für eventuelle Schäden aufgebracht werden, falls keine entsprechende Haftpflicht-Versicherung nachgewiesen werden kann. Bis spätestens 15. Juni müssen das Gelände, angrenzende Verkehrsflächen und die Umgebung beräumt sein. Dass der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt wird, darauf haben wir ein Auge.

Epilog

Der größte Aufreger des Gipfel war ein Tiefflug eines Jets der Bundeswehr über das Reddelicher Camp:

Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) wird wegen des Einsatzes von Tomado-Aufklärungsflugzeugen während des G8-Gipfels auch vom Koalitionspartner SPD scharf kritisiert. SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz bezeichnete den Einsatz, bei dem das Camp der Globalisierungskritiker in Reddelich bei Bad Doberan überflogen und fotografiert worden war, als „extrem unklug, als unsensibel". Großdemonstrationen aus der Luft heraus aufzuklären sei das Geschäft der Polizei, die auch über Hubschrauber verfüge, Links-Fraktionschef Gregor Gysi bezeichnete den Einsatz als „grundgesetzwidrig" und „völlig überzogen". Grünen-Abgeordneter Hans-Christian Ströbele drohte mit einem Gang zum Bundesverfassungsgericht.

Dem Tornado-Einsatz hat ein Amtshilfeersuchen des Schweriner Innenministeriums zugrunde gelegen. Wie das Ministerium gestern mitteilte, war das Bundesverteidigungsministerium um logistische und technische Unterstützung zur Bewältigung des Polizeieinsatzes gebeten worden. Dazu habe auch die Aufklärung aus der Luft gehört.

Durch den Einsatz der Tornados sollten laut Ministerium „Erddepots, Bodenveränderungen und Veränderungen in der Bebauung festgestellt werden, die auf Vorbereitungshandlungen gewaltbereiter und militanter G8-Gegner sowie terroristische Anschlagsvorbereitungen schließen lassen würden". Dazu seien zu verschiedenen Zeiten aufgenommene Luftbilder miteinander verglichen worden. Eine personenbezogene Aufklärung durch Flugzeuge habe nicht stattgefunden, betonte das Ministerium.

DPD/OZ im Juni 2007

Die Nachbereitung des Gipfels verlief für Reddelich vereinbarungsgemäß und unspektakulär. Die Camp-Veranstalter hinterließen ein Aufgeräumtes Gewerbegebiet. Zum Dank an die Gemeinde spendeten sie dieser 1.500 €.

Artikel aktualisiert am 16.04.2023