Über diese immense Wertschätzung der Reddelicher Obstarche schrieb deren Koordinatorin, Frau Dr. Silvia Kastell:
Die Deutsche UNESCO-Kommission teilt mit, dass der Streuobstanbau in das Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes eingetragen wurde. Streuobstwiesen beherbergen und schützen die Vielfalt der Obstsorten und prägen unsere Kulturlandschaften. Das Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes zeigt exemplarisch, welche lebendigen kulturellen Traditionen und Ausdrucksformen in Deutschland praktiziert und weitergegeben werden.
Das Kataster würdigt kreative und inklusive Kulturformen und deren reichen Schatz an Erfahrungswissen. Die UNESCO schreibt dazu:
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gehen die Streuobstbestände in ganz Europa zurück. Damit schwindet nicht nur ein kultureller Erfahrungsraum für den Menschen, sondern auch ein ökologisch wertvoller Lebensraum für Tier- und Pflanzenarten. Lebendig gehalten wird der Streuobstanbau durch ehrenamtliches Engagement.
Biodiversität
Elementarer Bestandteil des Streuobstanbaus in Deutschland ist die Biodiversität. Streuobstwiesen sind artenreiche Biotope, die zahlreiche Tier- und Pflanzenarten beherbergen. Sie sind aus einer landwirtschaftlich-kulturellen Entwicklung hervorgegangen und direkt an menschliches Wissen gebunden. Viele Bestände wurden im 20. Jahrhundert gerodet, was zum Verlust größerer Flächen von Streuobstwiesen geführt hat. Heute gefährden weniger Rodungen als das schwindende Wissen, fehlende Fertigkeiten und Wertschätzung, der hohe Arbeits- und Zeitaufwand und die mangelnde Rentabilität den Bestand.
Handwerk und tradiertes Wissen
Im Kern des Streuobstanbaus stehen die arbeits- und zeitintensive Pflege und Bewirtschaftung der Wiesen sowie die Obstverarbeitung. Traditionelle Handwerkstechniken sind dabei fester Bestandteil der Praxis. Der Streuobstanbau umfasst auch verschiedene Bräuche und Rituale wie beispielsweise die Neupflanzung von Bäumen bei Geburten und zahlreiche öffentliche Veranstaltungen wie Streuobst-, Apfelwein- oder Obstblütenfeste. Für den Erhalt des Streuobstanbaus unabdingbar ist neben dem landwirtschaftlichen Wissen und den dazugehörigen Handwerkstechniken auch das Wissen über tausende gezüchtete Obstsorten und den richtigen Standorten für den Anbau.
Weitergabe und regionale Identität
Der Streuobstanbau ist für die Trägergruppen und die Bevölkerung ein Stück regionaler Identität. Das Wissen rund um den Streuobstanbau wird von zahlreichen Akteuren aus dem Naturschutz und Fachleuten bewahrt, die auf Tagungen, Lehrgängen und durch praxisnahe Kurse Wissen weitergeben. Durch interaktive Ausstellungen in Freilichtmuseen, Wanderausstellungen, Streuobstpfade und Online-Portale sind Informationen öffentlich zugänglich. Umweltbildungsprogramme richten sich an Kinder und Jugendliche und binden so auch die jüngere Generation in die Kulturform mit ein.
Unseren Obstlehrpfad entwickeln wir weiter
Wir haben inzwischen viele ehrenamtliche Stunden mit vielen Helfern geleistet. Auf unserer Homepage www.obstarche-reddelich.de ist dies unter der Rubrik Aktuelles auch noch detaillierter nachzulesen. Hier geben wir Ihnen einen kleinen Rückblick über unsere Aktivitäten im zurückliegenden Jahr. Um unsere Obstbäume auch nach vielen Jahren eindeutig wiederzufinden, wurden alle 800 Obstbäume und Fruchtsträucher mit ihren Geländepositionen mittels geodätischem GPS-Empfänger vermessen. Herr Dr. Görres Grenzdörffer war dazu mit dem GPS-Gerät in unseren Streuobstwiesen und Baumreihen unterwegs. Alle 700 Obstbäume und Fruchtsträucher, die wir in den vergangenen sechs Jahren gepflanzt hatten, wurden mit den Koordinaten in einer Genauigkeit von 2 cm sehr präzise eingemessen. Die Koordinaten werden in ein Geo-Informationssystem überführt und im Obstbaumkataster der OBSTARCHE Reddelich dokumentiert. Von jedem Streuobststandort erhielten wir somit genaue Übersichtskarten, auf denen die Position und Baumnummer von jedem einzelnen Baum dokumentiert ist. Die sorgfältige Dokumentation ist für uns als offizieller Erhalter im Erhalternetzwerk des Pomologenvereins sehr wichtig, weil wir die Sortennamen, Pflanzdatum und weitere Informationen zu jedem Baum vermerken. Diese Informationen sollen für die Zukunft erhalten werden.
Unsere Aktivitäten
- Wir machten am 9. September 2020 ein Picknick im Konzertgarten in Reddelich und ein Grillfest am 27. Juni 2021, um unseren Helfern und Unterstützern für die geleistete ehrenamtliche Arbeit zu danken. Unser Apfelfest feierten wir am 27. September 2020, an dem Tag wurde unser Obstlehrpfad offiziell feierlich eröffnet.
- Im NDR-Fernsehen lief am 19. September 2020 ein Beitrag über unser OBSTARCHE-Projekt. Der Filmdreh war aufwändig und dauerte einen halben Tag. Danke für die Mitstreiter und die Kita ROHRSPATZEN aus Reddelich, die beim Filmdreh als Akteure mithalfen.
- Wir konnten sechs neue Baumpaten und zwei neue Vereinsmitglieder im KULTURVEREIN FÜR REDDELICH UND BRODHAGEN E.V. gewinnen, die sich für den Erhalt der alten Obstsorten einsetzen. Diese kommen aus Rostock und Wismar.
- Im Oktober bis Dezember rammten wir rund 400 Robinienpfähle als neue Baumstützen mit Pfahlramme in den Boden. Die alten Kiefernholzpfähle wurden abgebaut, die Sortentafeln und Katasternummernschilder umgeschraubt. Jetzt können wir darauf vertrauen, dass die Obst-Hochstämme auch bei Sturmböen sicher angebunden sind und nicht umgeworfen werden.
- Im Herbst hackten wir alle 800 Baumscheiben der Obstbäume von Unkraut frei. Dies diente dazu, den Boden zu belüften und die Wühlmäuse zu vergrämen. Wir reparierten laufend defekte Anbindungen und erledigten den wichtigen Erziehungsschnitt der Obst-Hochstämme, damit stabile langlebige Baumkronen entwickelt werden. Die abgeschnittenen Reiser und Äste sammelten wir ein und verbrannten sie aus Gründen der Pflanzenhygiene. Wir schnitten Baumkrebsstellen aus und versorgten die Wunden mit Baumpflegemittel. Die Baumscheiben wurden auch von Unkraut mindestens dreimal im Sommerhalbjahr freigemäht. Die jungen Bäume wurden bewässert. Wir streuten Kalkdünger, Holzhäcksel auf die Baumscheiben, Rindermist und Grünschnitt-Kompost zur Nährstoffversorgung der Bäume. Denn wer guten Fruchtertrag mit guter Qualität haben möchte, kommt um die Düngung nicht herum.
- Wir pflanzten im Frühjahr 2021 insgesamt dreizehn Wildrosenbüsche in der Gemeinde Reddelich und legten eine kleine Blühfläche am Bollhäger Weg in Brodhagen an.
- Im Mai 2021 stellten wir zwei Informationstafeln und fünf neue Tafeln zu den Themen Walnuss und Lebensräume Boden, Teich und Wiese am Obstlehrpfad auf. Wir kauften eine neue Motorsense zur Mahd des Grases rund um die Baumstämme.
- Im Juni 2021 wurde ein Fernsehbeitrag über das Projekt OBSTARCHE Dank der Förderung durch die Stadtwerke Rostock AG in den regionalen Sendern TV Rostock und TV Güstrow ausgestrahlt.
- Wir stellten im August und September 2021 insgesamt fünf Sitzgruppen mit jeweils einer Sitzbank und einem Tisch aus Eichenholz an schönen Plätzen entlang des Obstlehrpfades auf. So können die Menschen hier gemütlich rasten und die Natur genießen. Dies war möglich durch die Förderung mit Mitteln aus dem LEADER-Programm der EU und des KULTURVEREINS FÜR REDDELICH UND BRODHAGEN E. V.
Neu ist seit 2021 die Ernte mit einem Ernteschein. Die Bürger können das Obst der OBSTARCHE-Bäume ernten und dafür als Gegenleistung einen geringen Geldbetrag auf das Vereinskonto des KULTURVEREINS FÜR REDDELICH UND BRODHAGEN E. V. einzahlen. Mit den Erlösen aus den Erntescheinen werden die Obstbäume gepflegt.
Erstmals wurde am 30. April in ganz Europa und in Reddelich der Tag der Streuobstwiese begangen. So würdigten wir diesen Aktionstag mit dem Aufstellen von fünfzig Sortentafeln auf unseren Streuobstwiesen und zwei kleinen Infotafeln. Weiterhin restaurierten wir das OBSTARCHE-Schild, welches an der Steffenshäger Straße in Reddelich steht. Es benötigte nach der fünfjährigen Standzeit einen neuen Anstrich sowie zwei neue Stützpfähle. Insgesamt beheimatet Deutschland mit bis zu 300.000 Hektar die größten Streuobstbestände Europas. Mit dem Streuobstwiesentag soll die Bedeutung der Streuobstwiesen für die Tier- und Pflanzenwelt sowie für die Gesellschaft in ganz Europa hervorgehoben werden. Allein in den hochstämmigen Streuobstwiesen Deutschlands gebe es weit über 5000 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten sowie rund 6000 Obstsorten. Damit sind die Streuobstwiesen insbesondere nördlich der Alpen wertvolle Biotope mit einer sehr großen biologischen Vielfalt. Auch deshalb wurden sie in das Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen.
Dr. Silvia Kastell,
Raducle Ausgabe 28,
Reddelich, im Dezember 2021