von Reinhold Griese
Mit der Gründung des Freistaates Mecklenburg-Schwerin im Jahr 1919 endete ein tausendjähriges Reich – nämlich die Monarchie Mecklenburg. Am 17. Mai 1920 wurde die Landesverfassung des bürgerlichen-demokratischen Freistaates Mecklenburg-Schwerin verabschiedet. Die Amtseinteilung wurde zugunsten von Verwaltungseinheiten, die den Kreisen bis 1990 entsprechen, abgeschafft. Auch das Doberaner Domanialamt wurde aufgelöst. Die herrschaftlichen Domänen wurden in Landeseigentum überführt und weiterhin verpachtet.
Die Gemeinde Reddelich hatte, um einen geeigneten Platz für ein Denkmal für die im Weltkrieg Gefallenen zu erhalten, 1921 mit dem Besitzer der Häuslerei 20 den Tausch einer 100 m² großen Fläche mit einem etwa 1370 m² großen der Gemeinde gehörigen Ackerstück vereinbart. Dieses Ackerstück lag der Häuslerei Nr. 20 jenseits der Chaussee gegenüber. Dieser Tausch ist von der zuständigen Behörde genehmigt worden und das Denkmal wurde errichtet.
Im Jahre 1924 stand z. B. im Ostseeboten
Nr. 12 ein Aufruf der Nationalsozialistischen deutsch-völkischen Freiheitsbewegung zur Reichstagswahl am 7. Dezember. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, »die Partei zu wählen, die den Willen hat, dem deutschen Volke seine Freiheit und seinen endlichen Frieden und damit Sicherung seiner Lebenshaltung wieder zu geben«. Diese Bewegung hatte seit dem Ende des 19. Jahrhunderts großen Einfluss auf die Bevölkerung im Deutschen Reich und somit auch auf die Bewohner von Reddelich und Brodhagen. Die Völkische Bewegung war rassistisch, d. h. antisemitisch, antislawisch und antiromanisch und lehnte die Demokratie ab. Sie unterhielt Verbindung zu rechtsradikalen Wehrverbänden, wie dem Kriegerbund Kyffhäuser
. Im Jahr 1933 erfolgte die Machtübertragung an die Nazipartei und führte zum Zweiten Weltkrieg mit dem Untergang des Deutschen Reiches. Die Prophezeiung des endlichen Friedens von 1924 war eine Propagandalüge. In dem Wahlaufruf wurde von sechs Jahren nach dem so genannte Ende des Krieges geschrieben. Das ließ vollkommen offen, dass ein neuer Krieg geplant war, um die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges zu revidieren.
Die Nazis stellten nach Wahlen 1932 die Landesregierung. Die nationalistische Diktatur in Deutschland von 1933 bis 1945 hat auch in Reddelich und in meiner Familie seine Spuren hinterlassen. Bei meinen Recherchen und bei Gesprächen mit Zeitzeugen über die Zeit des Nationalsozialismus in Reddelich und Brodhagen musste ich feststellen, dass diese Zeit vielfach nicht aufgearbeitet wurde. In der Chronik sollte nicht nur über Gutes sondern auch über Schlimmes in der Geschichte berichtet werden. Die Geschichte muss für die neue Generation erfahrbar werden, um sich ihr zu stellen. Das gemeinsame Schicksal und die Verantwortung für die Vergangenheit mahnt uns, sich für ein Leben in Frieden und Freiheit in der Gegenwart und Zukunft einzusetzen.
Als die rechtsradikale NPD 2006 in den Schweriner Landtag einzog, begriff ich, es als ein aktuelles Anliegen darzustellen, was ich während des Faschismus als Kind bewusst erlebt habe. Vieles habe ich auch von älteren Zeitzeugen erfahren. Dr. Hermann Langer untersucht in seinem Buch Leben unterm Hakenkreuz den Alltag in der Region des ehemaligen Kreises Bad Doberan zu der genannten Zeit. Diese wissenschaftliche Arbeit vermittelte mir viele Ereignisse und Einsichten, die vielfach Grundlage dieser Ausführungen sind. Die Darstellung soll ein Beitrag sein, Lehren aus der verhängnisvollen Geschichte zu ziehen.
Wie ist Hitler an die Macht gekommen? Auch Bewohner von Reddelich haben die NSDAP gewählt. So erhielten die Nazis zur Reichstagswahl vom 14. September 1930 in Reddelich 37 Stimmen von 200 und zur Landtagswahl am 5. Juni 1932 104 Stimmen. Diese Landtagswahl führte dazu, dass Mecklenburg schon vor dem 30. Januar 1933 – der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg – nationalsozialistisch regiert wurde. Viele Bewohner von Reddelich und Brodhagen glaubten an Hitler und unterstützten seine Politik, die zur Katastrophe führte. Die Nationalsozialisten waren die Haupturheber eines Völkermordes, eines zerstörischsten Krieges in der Geschichte der Menschheit, dem mehr als 50 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Viele Familien aus Reddelich und Brodhagen wurden in diese Unmenschlichkeiten hineingezogen. Hitlers vermeintliche Erfolge der ersten, guten Jahre beruhten auf die gründliche Kriegsvorbereitung.
Im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde der Reichsnährstand gegründet. Alle Institutionen und Personen die mit der Erzeugung, dem Vertrieb und der Preisbildung von landwirtschaftlichen Produkten befasst waren, mussten Mitglied im Reichsnährstand sein. Sie mussten landwirtschaftliche Produkte abliefern und einen finanziellen Beitrag leisten. Der Reichsnährstand diente der Kriegsvorbereitung und -führung. Bezeichnend für die Aufgaben des Reichsnährstandes war das Emblem, das Hakenkreuz symbolisierte die Politik, die Ähre stand für Ernährung und das Schwert für Krieg.
Im September 1933 wurde das Reichserbhofgesetz durch die nationalsozialistische Regierung erlassen. Die Landes-, Kreis- und Ortsbauernschaften wurden von Bauernführern geleitet. Ortsbauernführer in Reddelich war Albrecht Brinkmann, in Brodhagen der Pächter von Hof Brodhagen, Dierks.
Artikel aktualisiert am 28.01.2024