Archäologischer Abriss zur Gegend westlich von Bad Doberan

von Volker Häußler, 2014

Als die mächtigen landschaftsbildenden Gletscher der Weichseleiszeit vor etwa 15.000 Jahren unsere Region freigaben, war es hier sehr unwirtlich. Lange brauchten Pflanzen und später auch kälteliebende Tiere, um sich in der entwickelnden Tundra zu behaupten. Späteiszeitliche Jäger der ausgehenden Altsteinzeit zogen vor etwa 13.000 Jahren in den Sommermonaten hinter den durchziehenden Rentierherden her. Eine Flintpfeilspitze aus Kühlungsborn belegt das (siehe Bild 2). Die Menschen verwerteten alles, was sie erbeuten und sammeln konnten.

Vor etwa 11.600 Jahren hatte sich das Klima so weit erwärmt, dass die sich breit entfaltende Flora und Fauna den sehr mobilen Jäger-, Sammler- und Fischergruppen der Mittelsteinzeit nun ganzjährig die Lebensgrundlagen boten. Die Ostsee war mit ihren Nahrungsangeboten dabei von hoher Bedeutung. Belege dieser Gruppen sind rund um die Kühlung zahlreich. Besonders die Geweihgeräte vom Buk (siehe Bild 3) und Tauchfunde aus der Wismarbucht belegen das.
Um 4.100 v. Chr. übernahmen die Jäger, Sammler und Fischer auch bei uns, aber sehr langsam, die Lebensweise jungsteinzeitlicher Bauern. Die Informationen, Geräte und Erfahrungen dazu kamen weit her (Import von Schuhleistenkeilen – Detershagen (siehe Bild 4), Zweedorf, Retschow). Die neue Lebensweise war u. a. mit Sesshaftigkeit, Hausbau, umfangreichen Rodungen, Keramikherstellung, neuen Formen der Vorratswirtschaft, textiler Bekleidung (Spinnen und Weben), der Weiterentwicklung der Waffen und Geräte verbunden. Im Kult ergab die neue Lebensform neue Idole der Anbetung (siehe Bild 5). Das Wetter, Jahreszeiten sowie der Tag mit Sonne und Licht waren nun für die Bauern wichtig. Die urwüchsige Landschaft der Mittelsteinzeit wurde zur Kulturlandschaft.


Um 3.500 v. Chr. war die bäuerliche Gemeinschaft so weit gefestigt, dass sich auch im Totenkult neue Jenseitsvorstellungen ergaben und der Bau der Großsteingräber (siehe Bild 6) innerhalb eines Zeitraumes von ca. 300 Jahren begann. Danach wurden diese Totenhäuser über viele Jahrhunderte weiter genutzt.

Am Ende des 3. Jahrtausends kamen durch weite Austauschbeziehungen Kupfer und Gold zu uns. Kupfer wurde später meist mit Zinn zu Bronze legiert. Sie ermöglichte neue Geräte, Waffen und Schmuck. So sprechen wir ab 1.800 v. Chr. von der Bronzezeit. Die Mittler des Austausches konnten nun damit Überschüsse erwirtschaften und anhäufen. Dadurch differenzierte sich die Gesellschaft, was auch in den Gräbern zum Ausdruck kommt. Das Pferd wurde zum Haustier. In Felsbildern auf Großsteingräbern bei Blengow (siehe Bild 7) und Mechelsdorf huldigte man in der Bronzezeit dem Sonnenkult. Die Toten bestattete man neben einfachen Erdgräbern nun auch unter kleineren oder größeren Hügelgräbern. Die Meisten der Grabhügel gingen bei Flurbereinigungen, bei Baumassnahmen, durch die Beackerung und bei der Baumaterialgewinnung verloren (z. B. 1840 beim Chausseebau in Hohenfelde – zwei Gräber mit Bronzeschwertbeigabe und die neun Nägenberge), wie auch viele der Großsteingräber um Rerik. Ein sehr beeindruckendes Hügelgrab wurde 1898/99 beim Kiesabbau in Stülow entdeckt (Badenmüller) und von Gymnasiallehrern aus Bad Doberan untersucht. Es enthielt neun Bestattungen in zwei Steinkreisen und mit reichem Bronze-Inventar. Im Hütter Wald, im Großen Wohld, in der Kühlung, im Quellholz, im Cepelin und im Ivendorfer Forst sind heute noch zahlreiche Hügelgräbergruppen erhalten (siehe Bild 8).


Zum Ende der Bronzezeit ging man generell zur Totenverbrennung über. In dieser Zeit erlangte auch der Feuerstein wieder Bedeutung, da die Bronzezufuhr durch die Erschöpfung gut zugängiger Erzlagerstätten im Süden und Klimaverschlechterungen rückläufig war. Siedlungen der späten Bronzezeit sind zwischen Bad Doberan und dem Salzhaff sehr häufig (siehe Bild 9). Ab der Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. lernten die hiesigen Menschen die Eisenherstellung aus dem Raseneisenerz kennen. Die Kunde kam aus dem Hallstattgebiet. Das ist der Beginn der Eisenzeit, die die Menschheit bis heute prägt. Diese Kontakte und Informationen förderten die Entwicklung von Stämmen, die die Römer später als Germanen bezeichneten. Verstärkt ab der Zeitenwende kamen im Austausch mit den Römern neue Waffen, Geräte, Schmuck und u. a. Silber zu uns. Deshalb spricht man von der Zeitenwende bis zum 4. Jahrhundert n. Chr. von der Römischen Kaiserzeit (siehe Bild 10). Das ging u. a. einher mit der Bildung des Adels. Der Zerfall des Römischen Reiches und der Einfall der Hunnen lösten am Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. in Europa Völkerwanderungen aus (siehe Bild 11).

Ausgedehnte Siedlungsplätze und Gräberfelder (siehe Bild 12) sind aus dem gesamten Zeitraum rund um die Kühlung inzwischen sehr zahlreich bekannt. Die relativ dünn besiedelte Landschaft gab den spätestens zu Beginn des 7. Jahrhunderts n. Chr. einwandernden slawischen Stämmen einen guten Lebensraum. Sie prägten mit ihren Siedlungen, ihren Burgen , der Wirtschaft, ihrer Handelstätigkeit, der wachsenden Bevölkerung und den kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Nachbarn die gesellschaftlichen Strukturen sowie die Landschaft (siehe Bild 13). Die hiesigen Slawen gehörten zum Stamm der Obotriten, mit der Mecklenburg als Hauptburg und zahlreichen Nebenburgen wie der Schmiedeberg in Alt Gaarz und die Burgen Ilow oder Werle. Der unmittelbare Küstenbereich zwischen Kühlungsborn und der Warnow wurde von ihnen, zumindest nach dem derzeitigen Kenntnisstand, gemieden, während sich rund um das Salzhaff und der Wismarbucht seit dem 7. Jahrhundert n. Chr. eine ausgedehnte Siedlungskammer mit dem im Jahr 808 zerstörten Handelsort Reric entwickelte.

Das relativ dünn besiedelte und heidnische slawische Gebiet rief Begehrlichkeiten westeuropäischer Siedler und der Kirche hervor. Nach früheren Versuchen ihrer Unterwerfung kam es in der Mitte des 12. Jahrhunderts n. Chr. unter Führung Heinrichs des Löwen zu ihrer Unterwerfung. Die Mönche und neuen Siedler brachten neben ihrem Glauben auch ihre effizienteren Wirtschaftsmittel mit und siedelten oft neben den auch als Wenden bezeichneten Slawen (Alt Gaarz, Rethwisch, Roggow, Teßmannsdorf, Rakow).
Klöster wie Doberan und Parchow, Dörfer und Städte wie Neubukow (siehe Bild 14) oder Kröpelin wurden gegründet. Niedere Adlige befestigten sich in den Dörfern mit kleinen Burgen, den sogenannten Turmhügeln (siehe Bild 15). Die Anlage von Brodhagen, Glashagen und Reddelich gleicht eher Straßendörfern der einwandernden deutschen Siedler, die sich entlang alter oder neuer Wege niederließen. Am Weg bauten sie ihre Hofstelle, Dahinter rodeten sie den Wald und machten Ödland urbar.


Von den archäologischen Zeugen in Brodhagen, Glashagen und Reddelich

Eine vollständige Übersicht über das archäologische Geschehen einer Region kann nur in jahrelanger Forschungsarbeit und mehrfachen vollständigen Begehungen aller Flächen erarbeitet werden. Und trotzdem bringen Bauarbeiten immer wieder Neues ans Tageslicht. Ob Befunde wie Haus-, Werk-, Abfallgruben, Herde, Rennöfen, Kultplätze usw. vorhanden sind, zeigt z. B. der Pflug, wenn er hin und wieder in den mineralischen Boden eingreift. In diesen Befunden sind dann auch vergängliche Funde wie Keramik, Metalle oder Knochen zu entdecken. Wird der Boden nur flach bearbeitet (gescheibt, gegrubbert), kommen neue Befunde nicht zutage. Dann vergehen durch Wettereinflüsse (Frost, Wasser, Durchlüftung) und durch die mechanische Wirkung der Bearbeitungsgeräte die leichtvergänglichen Funde sehr schnell und sind verloren. Feuer- und Felsgestein sind stabil und bleiben so über sehr lange Zeiträume gut erhalten. Sie sind deshalb im Fundspektrum oft nur noch die einzigen Anzeiger längst zerstörter archäologischer Befunde.

Die zeitliche Ansprache von Funden ist bei Holzkohlenachweisen über die C14-Methode möglich, bei Holzfunden aus Feuchtbereichen hilft die Dendrochronologie. Bei Keramikfunden sind Gefäßformen, Verzierungen, Magerung wichtige Bestimmungshilfen. Ausserdem müssen zur Beurteilung der Siedlungssituation weiträumig die benachbarten Gemarkungen mit einbezogen werden. Beobachtungen und Hinweise der Bürger sind dabei unerlässlich. Fundstellen, bei denen durch Verfärbungen gesicherte Siedlungsreste nachgewiesen sind, kennen wir bisher in Brodhagen (13 Funde), Glashagen (15) und Reddelich (13). Auch bei Bodenaufschlüssen durch Baumaßnahmen wie Melioration, Haus-, Straßen- und Leitungsbau wurden gewachsene Böden freigelegt und geben einen Einblick in noch Vorhandenes, so z. B. in den letzten Jahren bei der Ferngasleitung 225 und im Gewerbegebiet Reddelich. So zeigte die Trasse der FGL, mit welcher Fundplatzdichte in den gesamten Gemarkungen zu rechnen ist.

Geräte aus Felsgestein wie Reibekugeln, Schlag-, Wetz-und Glättsteine oder Flint wie Bohrer, Schaber, Klingen, Kern-, Schlagsteine sind mit ihren Formen meist sehr langlebig und nur schwer zeitlich einzuordnen. Sie könnten aus der Alt-, Mittel-, Jungstein- und Bronzezeit stammen. Davon sind in Brodhagen 27 Funde, in Glashagen 8 und in Reddelich 16 registriert. Besonders das Abschlagmaterial also Abfälle der Flintbearbeitung, ist auf vielen der Plätze stark vertreten.

Gesicherte und bestimmte Fundplätze der Jungsteinzeit gibt es bisher in Brodhagen zwei (siehe Bild 16) und in Glashagen einer (siehe Bild 17). Hier sind es Typen von Flintbeilen, die für eine bestimmte Zeit stehen. Rennofenschlacken (Brodhagen 4 Funde) stammen meist aus germanischen Werkplätzen (siehe Bild 18).

Bürgerhinweise auf Fundplätze sind selten. Wenige Funde im 19. und frühen 20. Jahrhundert sind meist ohne Fundplatzangabe Das betrifft in Brodhagen 7, in Glashagen 3 und in Reddelich 2 Funde. (siehe Bild 19) Erst ab den 1950er Jahren sind Fundplätze genauer und nach 2005 mit GPS durch ganz genaue Koordinaten unterlegt. In den letzten 30 Jahren waren es besonders ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger der Kreisarbeitsgruppe Ur- und Frühgeschichte, die zur Gesamterfassung des archäologischen Bestandes Wesentliches beitrugen. So kennen wir bisher in Brodhagen 37, in Glashagen 19 und Reddelich 22 Fundplätze. Das entspricht einem Wissenstand von etwa fünf Prozent des wirklich noch im Boden vorhandenen archäologischen Bestandes.

Spätmittelalterliche und neuzeitliche Funde – meist Keramik – sind mit dem Dung auf den Acker gekommen und geben maximal einen Einblick in die damalige Situation im zugehörigen Dorf (Brodhagen 3 Funde, Reddelich 3). Selten handelt es sich dabei um wüste Hofstellen wie Vorder und Hinter Bollhagen. Keramische Reste dieser Zeit wurden auch härter gebrannt und sind so haltbarer.

Sechs Funde aus Brodhagen stammen aus der frühen Bronzezeit (Flintdolche und -sicheln). Zahlreiche Befunde und Funde der späten Bronzezeit oder frühen Eisenzeit wurden in Brodhagen (1), Glashagen (4) und Reddelich (10) bekannt.

Gesichert zur Vorrömischen Eisenzeit sind bisher Fundplätze in Brodhagen (2), Glashagen (1) und Reddelich (2) zuzuordnen. Funde der Römischen Kaiserzeit kommen von einem Fundplatz in Reddelich und aus der Völkerwanderungszeit von einem in Ober Steffenshagen (siehe Bild 19).
Die zwei bisher bekannten spätslawischen Fundplätze des 11. und 12. Jahrhunderts in Reddelich liegen weit östlich und südwestlich außerhalb der heutigen Ortslage, könnten aber für die Wahl des Ortsnamens eine Rolle gespielt haben. Eine Siedlungskontinuität zur frühdeutschen Besiedlung lässt sich aber bisher nicht nachweisen, wie z. B. in Alt Gaarz (Rerik). Die heutigen Ortsstrukturen in Brodhagen, Glashagen und Reddelich entsprechen auch eher den Straßendörfern der von den Mönchen gerufenen Siedler. Unmittelbar um Doberan war der Einfluss der Mönche des Klosters Doberan natürlicherweise sehr intensiv.