Die Umsiedlerbetreuung.

Aus dem Verwaltungsbericht des Bürgermeisters von Reddelich, Wilhelm Rowoldt, von August 1946:

Da die Wohnverhältnisse auf dem Lande schon immer in viel stärkerem Masse beschränkt waren als in der Stadt, ist es klar, dass die Unterbringung so vieler Umsiedler auf große Schwierigkeiten stoßen musste. Diese Schwierigkeiten waren umso größer, als in den meisten Häusern nur ein Teil der Zimmer heizbar war. Es hat hier viel Mühe gekostet, die bereitzustellenden Unterkünfte mit Feuerungsanlagen auszustatten.

Bei meinem Rückblick auf die schweren Zeiten, in denen der Gemeinde so viele hilfsbedürftige Umsiedler zugewiesen wurden, bin ich dankbar, dass die Unterbringung dieser Bedauernswerten jedes Mal ohne Meinungsverschiedenheiten in kürzester Zeit durchgeführt werden konnten. Hierbei wurde auch die auf dem Lande nicht einfache Frage der Beschaffung der notwendigen Möbel so gelöst, dass die größte Not behoben werden konnte. Die Gemeindeverwaltung konnte durch Beschaffung einer größeren Anzahl neu angefertigter Bettstellen und Stühle eine wesentliche Erleichterung der Notlage bewerkstelligen.

Da die Umsiedler in der großen Mehrzahl ohne jedes Haushaltsgerät und ohne die notwendigsten Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens ankamen, musste die Gemeinde auch hier neben der Aushilfe durch die alt eingesessene Einwohnerschaft die dringendste Not durch Anschaffung beheben. Ein ganz wunder Punkt war die Bekleidungsnot der Umsiedler, die oft nur mit dem ankamen, was sie auf dem Leibe trugen und was meistens schon sehr fadenscheinig und erneuerungsbedürftig war. Gerade die kalte Winterzeit erforderte hier eine schnelle und wirksame Abhilfe. Obwohl der Bekleidungsbestand der ländlichen Bevölkerung infolge der geringen Zuteilungen an Bezugscheinen während der Kriegsjahre und durch das dauernde Aushelfen für Bombengeschädigte und die ersten Flüchtlinge stark zusammengeschmolzen war, gelang es durch verschiedene Sammlungen, eine ganze Anzahl von Bekleidungsstücken zusammenzubringen. Die wiederholten Bemühungen des Gemeindeleiters, aus den erheblich größeren Beständen und Kleidersammlungen der größeren Städte einen Zuschuss zu erhalten, blieben leider ohne Erfolg. Der weitere Ausbau der deutschen Wirtschaft lässt aber hoffen, dass noch vor Beginn des neuen Winters die Bezugsscheinausgabe für Bekleidung und Beschuhung der gesamten ländlichen Bevölkerung in großzügigem Masse durchgeführt werden kann. Es muss hier auf jeden Fall berücksichtigt werden, dass die ländliche Bevölkerung bei jeder – noch so schlechten Witterung – ihre Kleidung und ihre Schuhe in einem Maße strapazieren muss, wie es der Städter bei weitem nicht nötig hat. Es wird daher bereits in diesem Herbst notwendig sein und ich bin auch schon dafür nachdrücklichst eingetreten, dass die ländliche Bevölkerung in stärkerem Masse mit Kleidern und Schuhen versorgt wird.

Da die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung durch ein wohlorganisiertes Kartensystem in der ersten Zeit nach dem Zusammenbruch erst anlaufen musste, bemühte sich die Gemeindeverwaltung mit Erfolg, für die Zeit bis zum Erscheinen der ersten Lebensmittelkarten, die ohne jeden Lebensmittelvorrat dastehenden Umsiedler regelmäßig mit den wichtigsten Nahrungsmitteln zu versorgen.
Bei dem Eintreffen der größeren Umsiedlertransporte im Winter war die Beschaffung von Lebensmitteln und vor allem von Kartoffeln für die sehr heruntergekommenen Mitmenschen eine ganz wichtige Aufgabe. Ich bin besonders dankbar, dass es den vereinten Anstrengungen der gesamten Landwirte in Reddelich, die bereits bis an die Grenze des möglichen mit ihren Ablieferungen gegangen waren, damals wirklich gelungen ist, durch Bereitstellung aller möglichen Lebensmittel die körperliche Kräftigung und damit die Gesundung der Umsiedler sicher zu stellen. Die im Winter zu uns gekommenen Umsiedler haben heute ein ganz anderes Aussehen, sie sind viel kräftiger und gesunder und sehen mit ganz anderen Augen hoffnungsvoller in die Zukunft.

Viel Mühe machte der Gemeindeleitung die Versorgung der mitten im Winter eingetroffenen Umsiedler mit Brennholz. Da die Brennstoffversorgung der Einwohner schon vorher wegen der starken Inanspruchnahme aller Arbeitskräfte und Fuhrwerke für andere Aufgaben nur sehr knapp ausgefallen war, war ein Rückgriff auf die bestehenden Vorräte leider nur zu einem ganz geringen Teile möglich. Auch hier gelang es den Anstrengungen der Gemeindeverwaltung, die größte Not zu überbrücken.

Die Umsiedler waren in der Mehrzahl ohne jedes Vermögen und naturgemäß ohne Einkommen. Ihre Bargeldmittel waren von Anfang an so geringfügig, dass die Gemeinde oft gleich nach der Ankunft mit Unterstützungen der Hilfsbedürftigen einsetzen musste. Die Belastung der Gemeinde allein schon durch die laufenden Unterstützungen war sehr stark und betrug in den Wintermonaten sogar über RM 700,- monatlich. Das Bestreben des Gemeindeleiters war daher darauf gerichtet, gleich bei der Ankunft der Umsiedler ihre Arbeitseinsatzfähigkeit festzustellen und sie alsdann dort unterzubringen, wo sie ihren Fähigkeiten entsprechend am besten gleich arbeitsmäßig eingesetzt werden konnten. Darüber hinaus wurde ein besonderes Augenmerk darauf gerichtet, dass jede arbeitseinsatzfähige Person sofort dort Arbeit und Verdienst bekam, wo sich die erste und beste Gelegenheit bot. Für die Frauen wurde durch die Einrichtung einer S t r o h f l e c h t e r e i eine neue Möglichkeit des Verdienstes auch in den Zeiten gegeben, in denen in der Landwirtschaft nur wenig Kräfte benötigt werden.

Die Gemeindeleitung hat sich ferner wiederholt mit Erfolg bemüht, hilfsbedürftige Personen, die infolge schwerer körperlicher Behinderung nicht am Orte in Arbeit vermittelt werden konnten, außerhalb der Gemeinde eine Existenz zu verschaffen.

Schließlich möchte ich hier der Durchwanderer gedenken, die im Jahre 1945 täglich in größerer Anzahl mit Nachtquartier und Verpflegung zu versorgen waren. Die Leistungen der Gemeindeangehörigen für diese Mitmenschen, die auf der Suche nach ihren Angehörigen waren, müssen als durchaus beachtlich angesprochen werden.

Ein Rückblick auf die Bemühungen, das Umsiedlerelend zu beheben, lässt ohne jeden Zweifel erkennen, dass doch mit unendlich vieler Mühe so manches unternommen und auch bereits ganz wesentliche Fortschritte erzielt worden sind. Die ersten und die schwersten Schritte sind erfolgreich getan. Wir müssen daher zuversichtlich hoffen, dass die von allen zuständigen Stellen unablässiger Sorge um das Wohl und die Besserstellung der Umsiedler getroffenen Maßnahmen das recht bald erreichen, was unbedingt erreicht werden muss: Dass jeder Umsiedler sich in seiner neuen Heimat wirklich heimisch und wirklich geborgen und wohl fühlt und all das Schwere und Schreckliche vergessen lernt, was er in den furchtbaren Zeiten des Zusammenbruchs erdulden musste.

Abschrift des Berichtes, [07]