Die Geschichte des Reddelicher Bahnhofs

Von Ulf Lübs (Recherche und Text) und Heinz Schultz (Zeitzeugnisse)

Der ehemalige Reddelicher Bahnhof ist heute ein kleiner Haltepunkt auf der eher unbedeutenden Regionalbahnstrecke Rostock – Wismar. Das war nicht immer so! Am 19. Juli 1883 wurde durch die Städte Rostock und Wismar sowie dem Bahnbetriebsunternehmen Lenz & Co. die Wismar-Rostocker-Eisenbahn-Gesellschaft gegründet. Zweck der Firmengründung war der Betrieb einer Bahnstrecke zwischen Rostock und Wismar.

1883 Inbetriebnahme der Eisenbahnteilstrecke Rostock–Doberan am 26. Juli und Doberan-Wismar am 22. Dezember.

1890 wurde die Bahnstrecke verstaatlicht.
Die Großherzogliche Mecklenburgische Friedrich-Franz-Eisenbahn übernahm den Bahnhof.

1894 plante die Berliner Firma Kieping die Errichtung einer pferdebetriebenen Lorenbahn vom Retschower Forst zum Reddelicher Bahnhof.

1904 wurde die Verladestation den gestiegenen Bedürfnissen angepasst. Gleis und Verladebahnsteig (Siehe Lageplan im Anhang) wurden auf 76 Meter verlängert.

1920 wurde das Empfangsgebäude umgestaltet und ein Güterschuppen angebaut (siehe Grundriss im Anhang). Damit wurde nicht nur den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung getragen, sondern auch die Wohnverhältnisse der Bahnwärterfamilie verbessert.

1924 übernahm die neu gegründete Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft den Bahnhof.
Nach der Novemberrevolution und der Abdankung des Großherzoges am 13. November 1918 wurde die Bahn in Mecklenburgische Landeseisenbahn umbenannt und ging, nach den Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung, in den Reichseisenbahnen auf [Quelle: Wikipedia].

1966 wurde die Güterverladung auf dem Reddelicher Bahnhof eingestellt.

1994 fusionierten Deutsche Reichsbahn und Staatsbahnen Deutsche Bundesbahn zur Deutschen Bahn AG.

2000 wurde nach umfangreicher Rekonstruktion die Strecke Rostock – Wismar als Regional-Express in Betrieb genommen.
Der ehemalige Bahnhof wurde zu einem modernen Haltepunkt umgebaut.


Dienstsiegel

Geplant und gebaut hat die Strecke die MECKLENBURGISCHE FRIEDRICH FRANZ EISENBAHNGESELLSCHAFT. Die Planungsunterlagen der Bahnstrecke sind auf 1883 datiert, also im selben Jahr, in dem die Strecke in Betrieb genommen wurde. Das lässt auf eine kurze Planungsphase schließen, bei der von der späteren, sprichwörtlichen Bürokratie bei den staatlichen Nachfolgern, der damals privaten Bahngesellschaft, noch nichts zu spüren war.

In der Tat wurde die Strecke konsequent nach dem Baukastenprinzip geplant. Daher kommt das Planungsbuch der Strecke auch mit ca 100 Seiten aus und verliert sich nicht in Kleinigkeiten. Die Verfügungsgewalt des benötigten Landes lag ohnehin beim Herzog, sodass nicht jeder Kleingärtner und Frosch vom Projekt überzeugt werden musste. Beschwerden der betroffenen Reddelicher Bauern über die Landnahme sind nicht bekannt, sodass wohl von einem angemessenen Ausgleich ausgegangen werden kann.

Dienstsiegel

Die Bautrupps von damals kamen mit relativ wenigen Zeichnungen zur Bauplanung aus. So genügten zur Bauausführung für die freie Strecke zwischen den Bahnhöfen EINE Zeichnung des Querschnittes für das Gleisbett. Die Trassenführung ergab sich aus dem allgemeinen Fachwissen der Ingenieure vor Ort, mit Vorgaben für die maximale Steigung und den minimalen Kurvenradien. Interessanter Weise beginnt das Planungsbuch mit einer technischen Zeichnung für den Querschnitt der Stahlschiene, die damals anscheinend noch nicht standardisiert war. Die Bahnhöfe Rostock und Wismar wurden als Blackbox behandelt und die Anbindung der neuen Strecke dort geplant und ausgeführt. Bausteine der Planung waren:

  • EIN definierter Weichentyp,
  • Lagepläne für die Bahnhöfe und Haltestellen,
  • Bauzeichnungen für die Empfangsgebäude auf den Bahnhöfen und Haltestellen.

Mit diesen war das Projekt hinreichend beschrieben. Die baulichen Anlagen der Bahnhöfe Kröpelin und Neubukow waren identisch, wie auch die der Haltestellen: Katzlow, Hagebök, Teschow, Reddelich, Althof, Parkentin und Gross Schwaß.

Aus der Grundrisszeichnung für das Bahnhofsgebäude lässt sich auf ein reges Treiben auf dem damaligen Reddelicher Bahnhof schließen. Die Wirtschaftsräume wie: Ställe für zu verladendes Vieh, Gepäck- und beheizbarer Expeditionsraum sowie ein mit ca. 25 m² nicht gerade kleiner Warteraum wurden sicher nicht zu musealen Zwecken konzipiert und gebaut.

Mit der Verstaatlichung des Bahnverkehrs wehte ab 1889 ein anderer Wind. Bereits 1894 wurde der Plan für eine Erweiterung des Verladegleises auf eine Zuglänge von 76 Meter erstellt. Die Fertigstellung in Reddelich dauerte nun, mit neuem Wind, bis 1904. Da hatte die Gemeinde einen Mehrbedarf an Verladekapazität nachgewiesen.

1894 gab der Glashäger Gemeinderat dem Antrag der Berliner Firma Kieping zur Errichtung einer, mit Pferden betriebenen, Lorenbahn vom Retschower Forst zum Reddelicher Bahnhof statt. Die untenstehende Protokollabschrift fertigte Herr Axel Kähler [31] aus Glashagen und überlässt sie uns zur Veröffentlichung:

Protokoll,
gehalten am 27. april 1894

zur Beschlußfassung über den Antrag der Firma Kieping Charlottenburg, wegen Überlassung der [unleserlich] Seite des Kommunikatonsweges von Glashagen nach Reddelich zur Anlage einer mit Pferdekraft betriebenen Eisenbahn, war heute im Schulzenhause zu Glashagen der Gemeindevorstand zusammengetreten. Eingefunden dazu hatten sich vier Mitglieder, der Erbpächter Griese war behindert, nur der Lehrer Methling fehlte.

Der Gemeindebechluß in dieser Angelegenheit der Firma Kieping, die Benutzung des Weges zu vorerwähntem Zweck zu gestatten, wenn dieselbe zur hiesigen Gemeindekasse eine entsprechende Entschädigung zahlt.

[gez.] Borgwardt, Westendorf, Uplegger

Protokollbuch Gemeinderat Glashagen Dorf

Die Lorenbahn diente dem Transport von Holz aus dem Retschower Forst zur Verladung auf dem Bahnhof Reddelich. Bis 1965 war Reddelich Verladebahnhof für Rohholz. Nach 1945 wurde sehr viel Holz als Reparationsleistung in die damalige Sowjetunion transportiert.

Aus den Unterlagen der Volkszählung von 1900 geht hervor, dass im Bahnhofsgebäude der Bahnvorsteher Otto Hayden (geb. 1857) mit seiner Frau Emma (geb. 1874) wohnte.

1920 reagierte die Bahn auf die Veränderungen der Zeit und ließ das Empfangsgebäude umgestalten und um einen Güterschuppen erweitern. Dabei wurden die Diensträume des Bahnwärters erweitert, was zu Lasten der Ställe ging. Separate Post- und Expeditionsräume waren nicht mehr erforderlich und die Bahnwärterfamilie bekam mehr Wohnraum. Was in den Planungsunterlagen noch ein massiver Güterschuppen war, reichte in der Örtlichkeit nur für einen ausrangierten Wagon – sicher eine Folge der Wirtschaftskrise nach dem ersten Weltkrieg.

Eine schwere Havarie im Bahnbetrieb gab 1966 den Anlass, die Güterverladung auf dem Reddelicher Bahnhof einzustellen. In einem Güterzug sprang, kurz hinter Bad Doberan, bei einem Wagon der Radsatz aus dem Gleisbett und zerstörte die Schwellen, auf denen die Schienen montiert waren. Erst am Glashäger Berg, hinter Reddelich, bemerkte der Lokführer, dass etwas nicht stimmte und stoppte den Zug. Augenzeugen verglichen das Schadensbild mit der Wirkung des Schienenwolfs im Zweiten Weltkrieg.

Mit dem Wegfall der Holzverladung im Vorjahr war Reddelich als Güterverladebahnhof ohnehin weitgehend bedeutungslos geworden. Daher entschloss sich die Deutsche Reichsbahn, wie die Bahnbetriebsgesellschaft zu der Zeit hieß, die Instandsetzung lediglich als einspuriges Gleis vorzunehmen. Fortan wurde aus dem Reddelicher Bahnhof immer mehr ein Haltepunkt, ohne Dienstgebäude und Personal.

1975 stellte die Deutsche Reichsbahn den Antrag, die Haltestelle Reddelich zu schließen und die Schranken nachts und an Feiertagen dauerhaft zu schließen. Dies hatte die Gemeindevertretung abgelehnt – offenbar mit Erfolg.

Nach 1990 verfielen die Gebäude, mangels Nutzung, zusehends, bis um die Jahrtausendwende ein neuer, moderner Haltepunkt gebaut wurde.

2014 machte der Bürgermeister die Bahn darauf Aufmerksam, dass der Fußgängerüberweg zwischen Glashäger Straße und Bahnhof für Kinderwagen, Fahrräder mit Kinderanhänger, Rollstühle oder Liegefahrräder nur unter Schwierigkeiten oder überhaupt nicht zu bewältigen war (siehe Foto). Der zuständige Sachbearbeiter der Bahn nahm die Eingabe ernst und organisierte ein Treffen mit allen zuständigen Entscheidungsträgern vor Ort. Ende August trafen sich in Reddelich vier Vertreter verschiedener Abteilungen der Bahn, der Chef eines Planungsbüros, eine Sachbearbeiterin vom Bauamt und der Bürgermeister. Die Herren der Bahn reisten extra aus Frankfurt-Oder, Berlin, Hamburg, Bad Kleinen und Güstrow an.

Den Auftakt der Gespräche gaben die Bahnvertreter mit dem Hinweis, dass die Umlaufsperre, wie das Sperrwerk im Bahnjargon heißt, den Normen der Bahn entspricht. Der Bürgermeister wies darauf hin, dass Bahnnormen nicht über den Gleichstellungsgesetzen des Bundes stehen. Er war in einem Rollstuhl mit elektromechanischer Zugvorrichtung, in Kurzform Handbike, zu dem Termin erschienen. Eine Demonstration der Gleisquerung mit dem Gerät ließ die Diskussion schnell versachlichen. Die Beteiligten wurden sich schnell einig, dass Optionen, wie ersatzloser Rückbau der Anlage, Bau eines Tunnels oder einer Überführung und eine Schrankenanlage keine ernsthafte Grundlage für eine Diskussion war. Das Gleiche trifft auch für Empfehlungen zu, wie sie von Bahnvertretern gegeben wurden:

  • Fahrräder mit Anhänger können das Gespann vor Querung trennen,
  • Fahrradgespanne und Rollstühle mit Zugvorrichtung können über den nächsten KFZ-Bahnübergang umgeleitet werden,
  • Kinderwagen können über die Absperrung gehoben werden oder
  • die betroffenen Personen können ja auch einfach zu Hause bleiben [Behinderte haben auf den Liegenschaften der Bahn ohnehin nichts zu suchen.].

Im weiteren Gesprächsverlauf stellte sich heraus, dass die Bahn das Problem bereits für sich erkannt und ihre Vorschriften für Neubauten von Umlaufsperren angepasst hat. Diese werden nun um zehn Zentimeter aufgeweitet gebaut. Diese Variante ist eine akzeptable Lösung des Problems. Der Vertreter des Planungsbüros wurde beauftragt, eine Kostenschätzung für eine Weitung der Umlaufsperre zu erstellen.

Die Vertreter der DB Netz AG verwiesen abschließend jedoch auf die angebliche Rechtskonformität der Altanlage und sahen keine Handlungsnotwendigkeit. Sie stellten klar, dass ein Verlangen der Gemeinde auf Änderung auch die alleinige Finanzierung durch diese nach sich zieht. Die Gemeinde darf die Anpassung jedoch nicht finanzieren, weil sie damit dritten Eigentum verschaffen würde. Dies verbietet die Kommunalverfassung. Also eine klassische Patt-Situation.

Bei dieser blieb es letztlich auch. Zwar nahm sich der Behindertenbeirat des Landkreises der Sache an, konnte aber gegen die Bahn auch keine Verbesserung bewirken. Zu einer Klage vor einem Gericht konnten sich weder der Landkreis, noch die Gemeinde und der Bürgermeister durchringen.

Übergang als "Deppensperre" [54]

Bilder von den Reddelicher Bahnanlagen

Artikel aktualisiert am 13.03.2024