Die Reddelicher Häuslerei Nr. 4

Das Haus in der Einbahnstraße zwischen B 105 und Bäcker wird heute von der Eigentümerfamilie bewohnt. Diese betreibt dort eine Siedlungswirtschaft mit Hühner- und Kaninchenhaltung sowie einem großen Obst- und Gemüsegarten.

1853 erwarb der Maurergeselle Johann Schmidt (geb. 1807) die Häuslerei. Zur Volkszählung 1867 lebte er dort mit Ehefrau Sophie (geb. 1816). Die zum Haushalt gehörende Louise Meizing (geb. 1849) hielt sich am Zähltag auswärts auf. Augenscheinlich ist sie ein uneheliches Kind von Sophie Schmidt. 1895 wurde die Häuslerei an den Maurer Heinrich Starck verkauft.

Zur Volkszählung 1900 wohnten auf der Häuslerei: Der Maurer Heinrich Starck (geb. 1871) mit Ehefrau Sophie (geb. 1871), den Kindern Metha (geb. 1897) und Willi (geb. 1898) sowie den Schwiegereltern Johann (geb. 1831) und Henriette Pentzin (geb. 1832).

1906 kam die Häuslerei in den Besitz Hans Bartels, der dort auch mit seiner Frau Minna lebte. Hans Bartels verunglückte 1931 tödlich. Die Häuslerei erbte seine Tochter Anna. 1945 lebten in der Häuslerei Minna Bartels, deren Tochter Anna Schultz und und deren Tochter Emma Saß (geb. 1915) mit ihren Kindern Gerda (1934 – 2016) und Peter (geb. 1938). Paul Schultz starb 1944 und Hans Saß fiel im II. Weltkrieg. Nach Kriegsende wurden dort einquartiert: Familie Hebisch (Friedrich, Klara, Heinz, Kurt,) aus Ostpreußen.

2012, kurz nach ihrem 97. Geburtstag im Februar verstarb Emma Saß. Danach übernahm ihre Enkeltochter Katrin Seidl, geb. Saß, das Anwesen, baute eine Einliegerwohnung für ihre Eltern Elke und Peter Saß an, sanierte das Wohnhaus und zog dort mit ihrem Mann Axel und den Söhnen Domenik und Lenny ein.

In der RADUCLE Nr. 14 erschien ein Artikel über Emma Saß, die viele Jahre Hauseigentümerin war:

von Reinhold Griese, November 2011

Im Jahre 1945 lebten in der damaligen Häuslerei Nr. 4 insgesamt vier Generationen. Das waren die Urgroßmutter Minna Bartels, auch Größing genannt, deren Tochter Anna Schultz, wiederum deren Tochter Emma Saß und die beiden Kinder Gerda und Peter Saß. Männer gab es nicht im Haushalt. Hans Bartels war 1931 verunglückt, Paul Schultz war schon 1944 verstorben und Hans Saß war im II. Weltkrieg geblieben. Erst nach der Wende erhielt die Familie die Auskunft, dass er in der sowjetischen Kriegsgefangenschaft hinter dem Ural verstorben war. Da lässt es sich denken, dass es für die Familie nicht einfach war ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das Leben war durch fleißige Arbeit geprägt.

Die Häuslerei Nr. 4, die im Jahre 1853 entstanden ist, befindet sich seit 1906 im Familienbesitz. Das Grundstück hat eine Größe von etwa 2000 m². Zur Häuslerei gehörten zwei Morgen von der Gemeinde gepachtetes Land, ein Stück auf dem Klosterberg und eins auf dem Mühlenberg am Weg nach Jennewitz. Beackert wurde das Land nacheinander von den Büdnern Hameister, Peters und Schlutow in Lohnarbeit. Verrechnet wurden diese Arbeitsleistungen mit der Arbeit der Familie bei den entsprechenden Büdnern in der Saison. An Vieh gab es Schweine, mehrere Ziegen und Hühner. Sie erwirtschafteten als so genannte Selbstversorger die von ihnen benötigten wichtigsten Lebensmittel in Eigenarbeit. Frau Emma Saß, die älteste Bürgerin Reddelichs [November 2011], erzählt aus ihrem Leben:

Ich bin mitten im I. Weltkrieg, am 23. Februar 1915, in Reddelich geboren. Die Schule besuchte ich in Reddelich von 1921 bis 1929. Die ganze Zeit war Fritz Kreuzfeldt mein Lehrer. Gerne hatte ich den Unterricht in Rechnen. Nach der Schulzeit bin ich fast fünf Jahre bei der Familie Köller in Stellung als Dienstmädchen gegangen. Anna und Helmut Köller besaßen die Häuslerei Nr. 25, heute F 105 Nr. 17, vielen auch als Villa Franck bekannt. Helmut Köller war Gutsinspektor bei Neustrelitz gewesen. Bei den Köllers musste ich alle Haus- und Gartenarbeit machen. Danach war ich bei dem Molkereiverwalter Bastian in Stellung. Auch hier machte ich Haus- und Gartenarbeiten. Im Jahre 1937 habe ich dann meinen Mann Hans Saß geheiratet. Wir wohnten bis 1945 in der Häuslerei Nr. 29, die dem ehemaligen Bahnhofsvorsteher Heyden gehörte.

Meine Tochter Gerda, geb. 1934, besuchte die Oberschule in Bad Doberan, machte Abitur, studierte in Rostock und in Erfurt Medizin und wurde Ärztin. Sie praktizierte in Neubrandenburg als Lungenärztin. Solange ich das gesundheitlich noch konnte, bin ich sehr oft zu ihr nach Neubrandenburg gefahren und habe ihr im Haushalt geholfen. Peter, geb. 1938, mein Sohn, lernte in Bad Doberan Maurer und hat bis zum Rentenalter auf vielen Baustellen gearbeitet.

Von 1958 bis zur Auflösung der Molkerei in Reddelich habe ich täglich drei Stunden lang Milchproben zur Feststellung des Fettgehalts genommen. Danach habe ich auf der Warnowwerft im Ledigenwohnheim als Raumpflegerin gearbeitet. Im Winter mussten wir die Öfen heizen. Manchmal mussten wir auch vor der Auslieferung eines Schiffes in der Schiffsreinigung aushelfen. Sehr früh musste ich aus dem Haus. Der Werkbus fuhr um 5:45 Uhr von Reddelich. Gegen 16:45 Uhr war ich wieder zu Hause. Das war ein langer Tag. Daneben musste auch noch die eigene Wirtschaft in Ordnung gehalten werden. Der Acker musste bearbeitet und das Vieh versorgt werden.

aus RADUCLE 14, November 2011

Frau Emma Saß hat in ihrem Leben viel gearbeitet, die Häuslerei am Laufen gehalten und dazu ihre Kinder großgezogen. Diese immense Leistung verdient unser aller Respekt. Bewundert habe ich auch ihre Tochter Gerda. Sie war mir ein Vorbild. Wenn ich richtig informiert bin, war Gerda die erste aus dem Reddelicher Häuslermilieu, die das Abitur abgelegt und ein anspruchsvolles Studium absolviert hatte. Das war damals nicht so selbstverständlich. Wer von der einklassigen Dorfschule kam, musste besonders fleißig sein, um dieses Ziel zu erreichen. Auch ohne die Förderung durch die Familie war dies nicht möglich.

Nun möchte ich das Bild der Familie, das von Emma Saß geprägt wurde, vervollständigen. Peter heiratete 1971 Elke Lübs. Aus der Ehe sind zwei Kinder, Christian und Katrin, hervorgegangen, die wiederum drei Kinder haben. Emma Saß wird, einer Familientradition entsprechend, von ihren drei Urenkeln auch Größing genannt. Peter hat als Maurer in emsiger Feierabendarbeit aus der ehemaligen Häuslerei ein ansehnliches Wohnhaus gemacht. Aus der Scheunendiele und dem Stall ist ein Wohnzimmer entstanden, der Heu- und Strohboden wurde ausgebaut und ein Windfang sowie eine Garage wurden von ihm errichtet. Er freut sich, dass das Haus in der Familie bleibt, denn Tochter Katrin, die in Rostock wohnt und arbeitet, wird es später einmal übernehmen. »Dann wäre das Haus in der fünften Generation in Familienbesitz. Dafür müsse aber noch einiges modernisiert werden«, so Peter. …




Die Häuslerei Nr. 4 in einer Ansicht von 12013 [12]
Artikel aktualisiert am 23.03.2024