1992: B-Plan Nr. 2, Gewerbegebiet Reddelich, wurde beschlossen

Die Gemeindevertretung bestätigte im Juli 1992 einen B-Plan der Superlative. Es wurden nicht nur rund zwanzig Hektar Landwirtschaftsflächen für Gewerbebauland, Infrastruktur und Ausgleichsflächen gemäß der gültigen Umweltgesetze überplant. Dieser B-Plan benötigte auch vierzehn Jahre bis zur formalen Rechtsgültigkeit. Rekordverdächtig ist auch die Zeitspanne bis zur endgültigen bestimmungsgemäßen Nutzung der Baulandflächen.

Im Juli 2012 veröffentlichte die Dorfzeitung Raducle [53] einen Artikel über die Geschichte des Gewerbegebietes von Ulf Lübs:

Zwischen Suhring und Eikbrauk

(…)
Kaum zu glauben, aber ich habe extra noch einmal in der Ortschronik auf KV-Online nachgeschaut – am 26. September 1992 nahm der damalige Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Bernd Seite, den symbolischen ersten Spatenstich für das Reddelicher Gewerbegebiet vor. Ein riesiges Bauschild verriet es jedem in der damaligen endlosen Fahrzeugschlange auf der B 105, in Reddelich wurde nicht gekleckert, sondern auf sechzehn Hektar geklotzt. Auf der Fläche zwischen der heutigen Alten Dorfstraße und der B 105 wurden einige Millionen der guten, für uns Ex-DDR Bürger neuen D-Mark verbuddelt. Bevor jetzt alle Leser mit einem Spaten ins Gewerbegebiet laufen – vergraben wurde natürlich nicht das Geld, sondern das Material, dass für voll erschlossene Gewerbegrundstücke notwendig war.

Ich möchte an dieser Stelle auch gar nicht in Sarkasmus verfallen. 1992 herrschte noch eine solche Aufbruchstimmung, da war das spätere Überangebot an Gewerbeflächen für die damaligen Entscheidungsträger nicht vorhersehbar. Da sollten wir fair bleiben.
Dass heute, zwanzig Jahre später, noch keine gravierenden Mängel an der Infrastruktur aufgetreten sind, deutet auf eine solide Bauausführung durch die beteiligten Baufirmen hin. Dafür waren die Fehler, die bei der anschließenden Vermarktung der Flächen gemacht wurden, umso haarsträubender. Zwei Aspekte kristallisieren sich dabei besonders heraus. Da ist zum einen die Exklusivvermarktung mit einer Lübecker Gesellschaft vertraglich vereinbart worden. Exklusiv und Firmensitz Lübeck sind für sich genommen schon zwei Reizwörter, die auch vor zwanzig Jahren jeden stutzig werden ließen, der etwas von Immobilien verstand. Vertragslaufzeit (langfristig), Kündigungsmöglichkeit (quasi keine) und Vergütungsmodalitäten ließen selbst den Laien mit gesundem Menschenverstand ins Grübeln kommen. Für die Maklerfirma hieß die Devise: Abwarten und kassieren, denn jede Aktivität zur Vermarktung schmälerte als Kosten den Gewinn. Ihre Courtage (Maklerprovision) bekam die Firma immer, selbst wenn die Initiative vom Käufer ausging und die Makler in den Kaufverhandlungen gar nicht involviert waren.
Der zweite Hauptaspekt für die schlechte Vermarktung und der daraus resultierenden Finanzkalamitäten für die Gemeinde war die Preisgestaltung. Der Marktpreis für Gewerbeflächen kannte im ausgehenden zweiten Jahrtausend nach Christus aufgrund eines Überangebotes nur die Abwärtsrichtung. Die Mehrheit der damaligen Verantwortlichen in der Gemeinde fand nicht den Mut für eine adäquate Preisanpassung. Salopp ausgedrückt heißt das – die Preise für Reddelicher Gewerbeland hinkten den Marktpreisen ständig hinterher.
Von der „Mehrheit der damaligen Verantwortlichen“ spreche ich absichtlich, denn es gab auch damals Mitbürger mit wachem Blick. … Diese konnten sich letztlich aber nicht durchsetzen.

Heute müssen wir in Sachen Gewerbegebiet und Gemeindefinanzen schmerzhaft konstatieren: Demokratie alleine ist kein Garant für Erfolg. Die verpassten Chancen in der Vergangenheit und die daraus resultierenden Probleme der Gegenwart sind das eine. Das andere sind die heutigen Perspektiven für die Zukunft. Privatpersonen und Unternehmen haben bei vergleichbaren Problemen die Möglichkeit, sich durch ein rechtlich geregeltes Verfahren zu entschulden und neu durchzustarten. Kommunen bleibt diese Chance versagt. Das bedeutet für unsere Gemeinde, dass nach geltendem Recht und Gesetz in den nächsten 835 Jahren kein ordentliches Wirtschaften möglich sein wird. Denn es hängt immer das Damoklesschwert der Überschuldung über uns, woran auch mittlerweile eine sofortige Komplettvermarktung des Gewerbegebietes nichts mehr ändern würde.
(…)

Dies alles sollte die Betriebe im Gewerbegebiet jedoch nicht verdrießen. Natürlich sind wir stolz – und ich spreche hier als Mitglied des Gemeinde-Bauausschusses – in der Gemeinde über fünfzig Gewerbeanmeldungen verzeichnen zu können. Letztlich ist das Reddelicher Gewerbegebiet in etwa halb voll und nicht halb leer – um einmal eine bekannte Metapher zu strapazieren.
Ich für meinen Teil werde am 26. September, auch wenn es ein Mittwoch ist, kurz innehalten und sagen:
„Prosit Gewerbegebiet!“
Ulf Lübs

Dorfzeitung Raducle [53], Ausgabe 15 (2012)
Artikel aktualisiert am 21.03.2024