Die Reddelicher Büdnerei № 16

Von Reinhold Griese (Recherche), Sven Morwinsky (Archivmaterial, Daten), Ulf Lübs (Layout).

Die Bauernstelle, vielen auch unter Hof Morwinsky bekannt, ist Aufgrund der umfangreichen Materialien, die uns die Familie Morwinsky dankenswert zur Verfügung gestellt hat, sehr gut dokumentiert. Der Hof mit einer kleinen Ackerfläche am Haus, wird heute von der Familie gärtnerisch und mit Kleintierhaltung bewirtschaftet. So wurde der Charakter des Hofes als Büdnerei bis in die Gegenwart bewahrt.

1882 baute der Erbpächter Johann Frahm eine neue Hofstelle für seine Hufe VII in der Feldmark am Weg nach Glashagen. Die ehemalige Hofstelle wurde mit 1025 Quadratruten Land (2,15 ha) zur Büdnerei № 16. Diese wurde an den Büdner Christoph Vanheiden von der Büdnerei № 7 für die Summe von 9.600 Mark verkauft. Die Büdnerfamilie zog auf den Hof der Büdnerei № 16 und bewirtschaftete von da an die Landwirtschaftsflächen beider Büdnereien. Die Hofstelle der Büdnerei № 7 wurde vermietet.

Während die Tochter Sophie sowie die Söhne Carl und Wilhelm zeitlebens mit der Büdnerei verbandelt blieben, lernte Sohn Joachim Zimmermann und machte sich in Bad Doberan selbstständig. Sophie Vanheiden erkrankte an Kinderlähmung, blieb stark gehbehindert und starb jung. Büdner Christoph Vanheiden wirtschaftete offensichtlich erfolgreich, denn die Büdnerei entwickelte sich zusehends.

1897 wurde das Haupthaus quasi aufgestockt, indem das steile Strohdach durch ein flaches Pappdach ersetzt wurde. Diese Modernisierung wurde bei vielen Büdnereien durchgeführt.

1898 wurde auf dem Hof der Büdnerei ein Wagenschauer gebaut. Mit diesem Begriff wurde damals eine Garage oder Unterstellgebäude für Technik bezeichnet.

Zur Volkszählung 1900 wohnten auf der Büdnerei: Der Büdner Christoph Vanheiden (geb. 1835) mit Ehefrau Marie (geb. 1840) und den Kindern Sophie (geb. 1872), Carl (geb. 1873) und dessen Frau Anna (geb. 1876), Wilhelm (geb. 1879), Otto (geb. 1898) und Henny (geb. 1899)

1906 erbte Carl Vanheiden (geb. 1873), Sohn von Christoph Vanheiden, die Büdnerei. 1908 baute er an das Haupthaus der Büdnerei einen Stall für Kühe und Pferde an.

Carl, der den Beruf des Maurers erlernt hatte, stellte immer mehr fest, dass ihm und seiner Ehefrau Anna die Landwirtschaft nicht lag. Er baute an der Chaussee ein Haus, die Häuslerei Nr. 31, und übergab 1914 die Büdnerei an seinen Bruder Wilhelm Vanheiden. Carl wurde Soldat und fiel am 14. September 1917 im I. Weltkrieg.

1914 übernahm Wilhelm Vanheiden (geb. 1879), die Büdnerei von seinem Bruder Carl. Auch er wurde Soldat und überlebte den I. Weltkrieg unversehrt.

1919 wurde der Hof elektrifiziert, was für eine Büdnerei schon sehr außergewöhnlich war. Zu diesem Zeitpunkt waren Stromanschlüsse noch kein Standard auf dem Lande. Das Angebot umfasste einen Hausanschluss für Kraftstrom und die Installation eines Drehstrommotors mit 5 PS Leistung für einen universellen Riemenantrieb sowie einer Lichtanlage mit 7 Brennstellen im Haus und den Nebengebäuden. Stromversorger war das AEG Elektrizitätswerk Rostock. Alles zusammen kostete das Projekt 4.508,80 Mark.


1927 ließ Wilhelm Vanheiden an den Wagenschauer des Gehöftes eine Waschküche bauen.


1928 Bau einer Scheune auf dem Gehöft

1930 fand eine Revision der E-Anlage statt. Das Revisionsprotokoll erlaubt ein Bild zu damaligen elektrischen Verbrauchern. Daraus geht hervor, dass die E-Anlage der Büdnerei umfangreicher geworden ist. Der Prüfer fand dort vor: zwei Steckdosen, zwei Motoren mit insgesamt 18 PS, sechzehn Lichtbrennstellen und ein Bügeleisen. Die Stromabrechnung für November 1934 zeigt, dass Strom mit 11 Pfennige je Kilowattstunde auch damals keine Billigware war.

1934 war Büdner Wilhelm Vanheiden Mitglied im Reichskriegerbund Kyffhäuser, der in Reddelich eine Ortsgruppe hatte. Er war auch Mitglied im Reddelicher Männergesangsverein und bezahlte 1936 dort 4 Reichsmark Beitrag.

1936 wurden durch den Reichsnährstand Hofkarten ausgegeben, in denen Daten der Landwirtschaftsbetriebe von 1936 bis 1940 erfasst wurden. Die Formulare erlauben detaillierte Informationen zur Wirtschaft der Büdnerei.

1938 mussten Nutzungserhebungsbögen des Statistischen Reichsamts ausgefüllt werden. Diese Bögen der Büdnerei № 16. dienen als Beispiel für die gesamte Gemeinde.

1945 wohnten auf der Büdnerei Wilhelm Vanheiden mit Tochter Klara sowie Tochter Hella mit Ehemann Albert Schlutow und deren Tochter Toni. Nach dem Krieg wurden dort eingewiesen: Hertha Wendland mit den Kindern Grete und Hans aus Pommern, Familie Gustke (Hermann, Minna, Erwin, Käthe, Hannelore) aus Pommern sowie Herta Wendland mit den Kindern Inge und Margit aus Pommern.

1953 wurden, wie in den Jahren davor und danach, diverse amtliche Papiere ausgestellt, die das sogenannte Ablieferungssoll betreffen. Durch diese, teilweise willkürlichen, Festlegungen und die drastischen Sanktionen bei Nichterfüllung gaben viele Bauern ihre Landwirtschaft auf und zogen eine Flucht in den Westen vor. Die Sammlung der entsprechenden Dokumente für die Büdnerei № 16 gibt eine Vorstellung von diesem Papierkrieg.

1953 wurde durch das VPKA (Volkspolizeikreisamt) Bad Doberan eine Druschberechtigung für die Büdnerei ausgestellt. Das Getreide wurde zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Feld in Garben gebunden und diese auf dem Hof mit einer elektrisch betriebenen, stationären Maschine ausgedroschen. Es kamen zu dieser Zeit die ersten Mähdrescher auf, die Mahd, Drusch und Reinigung des Getreides in einem Arbeitsgang erledigten. Diese wurden aber vorrangig auf den Feldern der größeren Betriebe eingesetzt.

1954 übernahm Hella Schlutow, Tochter von Wilhelm Vanheiden, die Büdnereien № 7 und 16 und bewirtschaftete diese gemeinsam mit ihrem Mann, den Fuhrunternehmer Albert Schlutow (geb. 1902).

1955 beschränkte sich die Administration nicht mehr auf die Festlegung von Abgabenormen für die Bauernhöfe, sondern schrieb direkt vor, was der Bauer anzubauen und wieviel Vieh er zu halten hat. Diese Praxis empfanden viele Bauern als beleidigende Bevormundung und war einer Motivation zu Höchstleistungen eher abträglich.

1959 ließ Büdner Albert Schlutow auf seinen Ackerflächen eine Bodenanalyse vornehmen. Dieses staatliche Angebot war ein wichtiges Instrument zur Ertragssteigerung im Rahmen einer Intensivierung der Landwirtschaft. Die Nutzung durch Büdner Schlutow zeigte, dass auch er die Büdnerei auf hohem Niveau weiterführte.

1960 trat die Familie Schlutow in eine LPG ein. Fortan wurde der Acker der Büdnerei von der LPG bewirtschaftet. Durch eine individuelle Wirtschaft blieb der Charakter des Hofes als Büdnerei jedoch erhalten.

1993 übernahmen Toni (geb. Schlutow) und ihr Ehemann Karl-Heinz Morwinsky den Hof. Der Acker blieb verpachtet und auf dem Hofgelände betrieben sie Gartenbau und Kleintierhaltung zur eigenen Versorgung.

2005 wurde die Büdnerei an Jörg Morwinsky, Sohn von Toni und Karl-Heinz Morwinsky, übergeben.

In der Ausgabe 15, vom Juli 2012, der RADUCLE wurde ein Porträt von Frau Toni Morwinsky veröffentlicht. Ihr Werdegang ist ein gutes Beispiel für das Leben in Reddelich der kriegsgeborenen Generation. Nachfolgend einige relevante Auszüge:

Von Ulf Lübs (2013)

»Was gibt es über mich schon groß zu berichten.« Mit diesem Satz eröffnete Frau Morwinsky unser Gespräch. Außergewöhnlich ist dabei schon die Tatsache, dass Frau Morwinsky noch immer in dem Haus lebt, in dem sie vor 72 Jahren geboren wurde. Dort möchte sie ihr Leben, auch wenn das durchaus noch etwas Zeit hat, einmal abschließen. Die Reddelicher Doppelbüdnerei № 7 und 16, das Anwesen der Familie Morwinsky, ist eine der am besten dokumentierten Büdnereien der Umgebung.

Die Büdnerei befindet sich seit 1818 im Besitz der Vorfahren von Frau Morwinsky, die im März 1940 als Toni Schlutow geboren wurde. Eine fast 200 Jahre währende Familientradition ist für eine Büdnerei schon äußerst selten und bemerkenswert. Damit wurde meiner Gesprächspartnerin die Bodenständigkeit quasi in die Wiege gelegt.

Die Kinderzeit
Sehr praktisch waren die Schuljahre von 1946 bis 1954, die sozusagen in Rufweite vom elterlichen Hof stattfanden. Brauchte die junge Toni Schlutow doch nur am Bauernhof Barten vorbei die Dorfstraße langgehen. Etwas beschwerlicher, von der Anfahrt her, war das letzte Schuljahr in Bad Doberan, aber Dank der guten Verkehrsanbindung Reddelichs doch erträglich.

Auf meine Frage, wie sie die Nachkriegsjahre empfunden hat, erfuhr ich, dass Not relativ ist. Meine Gesprächspartnerin erinnerte sich mit einem verschmitzten Lächeln:

Wenn alle ähnliche Probleme haben, ist das ja der Normalfall und Kinder sind ohnehin hart im Nehmen. Das meine Eltern und Großeltern ihre Probleme mit den Nachkriegsverhältnissen hatten, habe ich unterschwellig schon bemerkt. Wenn zu Hause das böse Wort "Abgabesoll" fiel, war von guter Laune wenig zu spüren. Aber letztlich waren Sorgen und Zukunftsängste ein Sache der Eltern. Eine gute Rodelpartie vom Bäudnerbarg bis zu Molkerei war mir als Kind allemal wichtiger. Dass die Bauern mit ihren Gütern zur Bahnverladung über unseren Hof fuhren, weil der Hohlweg durch uns spiegelglatt gerodelt wurde, war dann auch schon wieder ein Problem der Erwachsenen und nicht unser,

Eine Lehre, wie man sie heute kennt, hat Frau Morwinsky nicht absolviert. Nach Abschluss der Grundschule 1955 arbeitete sie auf dem elterlichen Hof, musste aber für zwei Jahre an zwei Tagen die Woche zur Berufsschule nach Bad Doberan, wo sie einige Grundlagen der land- und hauswirtschaftlichen Hofführung vermittelt bekam.

Die Zeit der eigenen Familie
In die Zeit der ausgehenden 1950er Jahre fiel die staatlich massiv forcierte Vergenossenschaftlichung der Landwirtschaft in der DDR, an die sich Frau Morwinsky sehr gut erinnerte:

Staatlicher Werber für Reddelich war damals Helmut Mattke, der seine Lebensgeschichte in mehreren Büchern veröffentlicht hat. Unter anderem beschrieb er auch, wie er die Bauern von dem Vorteil einer Genossenschaft überzeugte. Ich habe dazu eine andere Sicht, in der ich mich sehr gut an die tiefe Verunsicherung meiner Eltern über den staatlichen Druck erinnere. Im März 1960 gaben sie diesem Druck schließlich widerwillig nach und traten in die LPG ein.

Auch Frau Morwinsky wurde LPG-Mitglied und arbeitete im Schweinestall auf dem Hof Baade, der ehemaligen Hufe IV von Reddelich. Diese Knochenarbeit gab sie nach drei Jahren auf. Die Gründe dazu lagen zum einen im gesundheitlichen und zum anderen im familiären Bereich. Im März 1959 heiratete sie ihren Karl-Heinz, der mit seinen Eltern als sogenannte Kriegsflüchtlinge nach dem 2. Weltkrieg in Reddelich eine neue Heimat fand.

Nach der Geburt ihrer vier Söhne blieb sie Hausfrau auf dem Hof. Hausfrauentätigkeit in den 60er und 70er Jahren bedeutete nicht viel Freizeit für Hobbys zu haben, sondern war, gerade auf dem Lande, eher ein Multijob. Kindererzieherin, Wasch- und Putzfrau, Köchin und Gärtnerin sowie oft auch Altenpflegerin – alles Tätigkeiten, mit denen auch der Alltag von meiner Gesprächspartnerin ausgefüllt war. Trotzdem fand sie noch Zeit, als Urlaubs- oder Krankheitsvertretung für die hiesigen Postzustellfrauen einzuspringen.

… Jetzt, im Ruhestand ist Gartenarbeit für die Eheleute Morwinsky von einer Last zur Lust mutiert. »Ein Hobby, das nicht nur viel Bewegung an frischer Luft, sondern auch frisches Gemüse auf den Teller bringt«, wie mir Frau Morwinsky mit einem Lächeln versicherte.



Artikel aktualisiert am 25.03.2024