Die Reddelicher Büdnerei № 5/6

Von Reinhold Griese (Recherche), Ulf Lübs (Text, Layout).

Die Büdnerei, am Ende der Alten Dorfstraße gelegen, ist heute nicht mehr als solche zu erkennen. Das kombinierte Gebäude aus Wohntrakt, Stall und Scheune wurde 1996 abgerissen und an gleicher Stelle ein modernes Doppelhaus errichtet. Zuvor hatten die Eigentümer sich auf dem Grundstück ein Eigeheim gebaut. Die landwirtschaftliche Nutzfläche der ehemaligen Büdnerei wird derzeit (2018) von einem Landwirt aus dem Dorf als Weide genutzt.

1818 übernahm Johann Joachim Pingel die Doppelbüdnerei. Sie hatte eine Größe von 1988 Quadratruten, die rund 4,2 Hektar entsprechen.

Sehr wahrscheinlich, aber nicht belegt ist, dass der Neubüdner die zugewiesenen Parzellen erstmalig und innerhalb einer Frist, bebauen musste. Warum er noch im gleichen Jahr die Büdnerei wieder aufgegeben hat ist nicht überliefert. Ungewöhnlich ist die Führung als Doppelbüdnerei. Dass die Domanialverwaltung dies seinerzeit zugelassen hat, deutet auf eine geringe Nachfrage nach Neubauernstellen zu Beginn des 19.  Jahrhunderts in Reddelich hin. Auch wird der karge, ertragsarme Boden dabei eine Rolle gespielt haben, der seit den 1970er Jahren lediglich als Dauerweideland genutzt wurde.

Noch 1818 übernahmen die Witwe Christina Regina Gronow, geb. Freundt und der Gerbermeister Gäht aus Rostock die Büdnerei.

1826 bekam Peter Kruth die Büdnerei. Anzunehmen ist, dass er diese gekauft hat.

1837 wurde Margarethe Pentzien, geb. Kruth, Büdnerin.

1867, zur Volkszählung, lebten auf der Büdnerei:

  • Der Büdner Joachim Pentzien (geb. 1805) mit Ehefrau Sophie (geb. 1823) und den Kindern Peter (geb. 1843), Maria (geb. 1852) und Heinrich (geb. 1859 ). In Wichmannsdorf hielt sich am Zähltag Sophia Penzin (geb. 1835), und in Einhusen Mina Penzin (geb. 1846) auf.
  • Der Einlieger Johann Penzin (geb. 1830) mit Ehefrau Jette (geb. 1831) und den Söhnen Friederich (geb. 1865) und Joachim (geb. Okt 1867).
  • Der Einlieger Johann Penzin (geb. 1837) mit Ehefrau Sophia (geb. 1843) und den Töchtern Maria (geb. 1866) sowie Mina (geb. Nov 1867).

1875 übernahm Peter Pentzien die Büdnerei. Er war vorher Knecht in Reddelich. Die Verwandschaftsverhältnisse der Büdner seit 1826 konnten noch nicht eindeutig bestimmt werden. Wahrscheinlich ist jedoch, dass Margarethe Pentzien die Mutter und Peter Kruth der Großvater von Peter Pentzien waren.

1897 erwarb der Erbpächtersohn aus Reddelich, Heinrich Baade, die Büdnerei.

1900, zur Volkszählung, lebten auf der Büdnerei:

  • Der Büdner Heinrich Baade (geb. 1871) mit Ehefrau Ida (geb. 1877) und den Kindern Marie (geb. 1898) und Friederich (geb. 1900) sowie dem Kindermädchen Bertha Garbe (geb. 1886).
  • Der Landarbeiter Hans Bartels (geb. 1870) mit Ehefrau Wilhelmina (geb. 1870) sowie den Töchtern Anna (geb. 1891) und Frida (geb. 1896).

1911 kaufte Hermann Wiechert, Gärtner aus Reddelich, die Büdnerei.

1918 erwarb Paul Liebenow, Kriegsbeschädigter aus dem I.  Weltkrieg, für 28.000 Mark die Bauernstelle. Ihm wurde vom Landesausschuss für Kriegsgeschädigte ein günstiges Darlehen gewährt.

1928 kaufte Hans Barten, Bauer der Hufe III, als gesetzlicher Vertreter für seinen minderjährigen Sohn Hansjoachim die Büdnerei. Es durfte keine wirtschaftliche Zusammenlegung mit der Hufe III erfolgen.

1945 lebten auf der Büdnerei die Familien Ari Houtkooper und Paul Rowoldt. Umsiedler, wie Kriegsflüchtlinge zu DDR-Zeiten genannt wurden, hatte man auf der Büdnerei augenscheinlich nicht einquartiert.

1949 wurde ein Kaufvertrag zwischen Hansjoachim Barten und Ari Houtkooper, Landwirt und Gärtner auf der Hufe III, zum Preis von 15.000 DM abgeschlossen. Später erbte Otto Houtkooper, Sohn von Ari Houtkooper, die Büdnerei und nach seinem Tod Ehefrau Minna. 1960 trat Otto Houtkooper in die LPG (Typ I) REICHE ERNTE Reddelich ein.

1985 kaufte die LPG (P) KÜHLUNG die Bauernstelle von Frau Minna Houtkooper. Es sollte durch eine Totalsanierung des maroden Gebäudes Wohnraum für ein LPG Mitglied geschaffen werden, wozu es jedoch nicht kam.

1990 kauften Ulf und Rosemarie Lübs das Hofgrundstück. Damit wurde die Trennung der landwirtschaftlichen Nutzfläche vom Hof der Büdnerei auch besitzmäßig vollzogen. Das Hofgrundstück wurde 1995, einem Trend der Zeit folgend, parzelliert und mit einem Eigenheim sowie einem Doppelhaus bebaut. Damit endet die Geschichte des Anwesens als Büdnerei.

Auch diese Büdnerei ist ein gutes Beispiel für die geringe Nachhaltigkeit bei der Bewirtschaftung von Büdnereien. zwölf Eigentümer in 175 Jahren ist schon beachtlich, zumal nur wenige Wechsel durch Erbfälle innerhalb der Besitzerfamilie stattfanden.

Aus der Geschichte der Reddelicher Büdnerei № 5/6

von Ulf Lübs, September 2013

Diese Büdnerei weist einige ungewöhnliche Besonderheiten auf. Trotzdem ist sie ein beredtes Beispiel für die Sackgasse "Büdner" bei der wirtschaftlichen Entwicklung eines Dorfes und seiner Bewohner. Diese geschichtliche Übergangslösung konnte wohl nur in einem Land wie Mecklenburg mehr als 150 Jahre Bestand haben. Dann kommt auch noch der eigentumskonservierende Effekt von vierzig Jahren DDR hinzu.


Das Gebäude der Büdnerei hatte im Grundriss etwa die Abmessungen 20 x 14 Meter und war mit Firstrichtung Nord-Süd ausgerichtet. An die Ostseite waren ein Hühnerstall und ein Windfang aus den 1970er Jahren angebaut. Die Außenmauern waren aus Ziegelsteinen als Sichtmauerwerk errichtet und standen auf Felsenfundamenten. Die Traufhöhe betrug etwa 4,50 Meter, die Firsthöhe um 6,50 Meter.

Das Außenmauerwerk war nicht homogen. Im Stallbereich waren einige traufseitige Bereiche als Fachwerk ausgeführt und im Südgiebel waren die innenliegenden Läuferschichten, oberhalb der Zimmerdecken, mit luftgetrockneten Lehmziegel gemauert. Dieses Verfahren, das schon bei Ausführung in den 1930er Jahren schlicht Murks gewesen sein dürfte, führte zwangsläufig zu einer Auswölbung des Giebels nach außen.

Das Dach war eine Pfettenkonstruktion mit Teerpappeneindeckung auf einer Bretterverschalung. Eine Bauweise, wie sie zu Beginn des 20.  Jahrhunderts üblich war. Die Ständer für die Pfetten waren im Stallbereich einzeln am Boden fundamentiert, was dem Gebäude auch innen einen Hallenartigen Charakter verlieh.

Im Südosten und Südwesten hatte das Gebäude jeweils einen kleinen Kriechkeller von etwa drei Quadratmeter Grundfläche, die durch Fußbodenluken, sogenannte Falltüren, erreichbar waren.

Das Gebäudeinnere wurde auf der Südseite mit zwei Wohnungen ausgebaut, die miteinander verbunden waren. In der Nordseite waren Viehställe untergebracht und dazwischen eine Scheunendiele, für die der gesamte restliche umbaute Raum bis unter das Dach genutzt wurde. Abgesehen von einer massiven Brandmauer als Abgrenzung zum Wohntrakt, waren die Innenwände und Decken als einfache Fachwerkkonstruktion mit Lehmwindelauskleidung ausgeführt.

In den 1930er Jahren wurde das Haus gravierend umgebaut. Der Nachbar, und langjähriger Eigentümer der Doppelbüdnerei № 3/4, Heinz Utesch (Jahrgang 1924), erinnerte sich noch an ein Gebäude mit strohgedecktem Spitzdach und einer durchfahrbaren Scheunendiele. Anzunehmen ist, dass der Umbau im Zusammenhang mit der Ansiedlung holländischer Kohlspezialisten steht. Der damalige Eigentümer, Bauer Barten (Hufe III), hatte sicherlich die notwendigen Mittel, einen solchen Umbau zu finanzieren.

Im Hausinneren wurde augenscheinlich der Wohnbereich, zu Lasten des Scheunenteils, erweitert. Der Stallbereich wurde kaum verändert. Ein starkes Indiz dafür war der Fund einer Geldbörse, mit etwa 70 Millionen Mark Inhalt, auf der Stalldecke. Leider handelte es sich bei dem Fund nicht um Goldmark sondern um Inflationsgeld mit dem Gegenwert von vielleicht einem Brot und einer Zigarre. Anzunehmen ist, dass die Geldbörse dort um 1924 verloren wurde und bis zu seiner Entdeckung 1995 in der stetig gewachsenen Kaffschicht auf der Stalldecke verschwand.

1973 wurde Reddelich an die zentrale Trinkwasserversorgung angeschlossen. Im Zuge dieser Maßnahme bekam auch die Büdnerei № 5/6 einen Wasseranschluss. Bis 1985 gab es jedoch nur jeweils einen Wasserhahn in den beiden Küchen. Sanitäre Anlagen, wie WC, Bad oder Dusche, kannten die Bewohner nur vom Hörensagen, aus dem Fernseher, den Betrieben oder von Verwandten und Bekannten. Auf dem Hof gab es bis Ende der 1980er Jahre noch einen intakten Brunnen mit Schwengelpumpe, der zur Viehversorgung und Gartenbewässerung genutzt wurde.

Wann das Haus einen Stromanschluss bekam ist mir nicht bekannt. Allgemein bekannt ist, dass Reddelich 1919 an das Netz der Elektrizitätswerke Rostock angeschlossen war. Die Versorgung der Büdnerei № 5/6 ging aber nie über eine einfache Anlage für Licht und Hausgeräte hinaus.

Beheizt wurden die Wohnräume mit Kachelöfen, in denen man Holz oder Braunkohlebriketts verfeuerte. Bautechnische Maßnahmen zur Wärmedämmung, wie sie heute üblich sind, wurden nicht vorgenommen. Die Außenwände bestanden aus massivem, vollformatigem Ziegelmauerwerk. Die Fenster waren, zumindest im mir bekannten Zeitraum, einfach verglast und ohne Fensterläden. Im Mauerwerk waren noch alte Fensterstürze als gemauerte Stichbögen zu erkennen. Gut möglich, dass die Originalfenster mit Holzläden versehen waren, was in der Region im 19.  Jahrhundert eigentlich Standard war.

Zentraler Raum der Wohnung war die Küche, die bis zum Anbau des Windfangs direkt durch die Haustür zu erreichen war. Eine Besonderheit der Küche war ihre offene Herdstelle, die bis in die 1980er Jahre genutzt wurde. Der gemauerte Herd war eine Kombination von verschiedenen Back- und Kochstellen. Der Rauchfang an der Decke war eine gemauerte Trichterkonstruktion, die direkt in einen Schornstein mündete. In den Rauchfang wurde gerne Fleisch oder Wurst zum Räuchern hineingehängt. Die darüberliegende Räucherkammer, in die der Rauch des Küchenherdes geleitet werden konnte, war 1985 nicht mehr vorhanden.

Von der Küche gab es Verbindungen in den Treppenflur zum Dachgeschoss, in die Speisekammer, in die Wohnstube und den Schlafraum. Treppenflur habe ich deshalb herausgestellt, weil es sich dabei eher um eine Stiege mit dem Charakter eines Bergwerksstollen handelte. Der Schlafraum wiederum hatte eine Verbindungstür in den Stall- und Scheunenbereich, wo sich auch der Abort der Hauptwohnung befand. Fast alle Räume im Haus hatten eine Raumhöhe von weniger als zwei Meter.

Die Wände waren zwar verputzt und meist auch tapeziert, planebene Wandflächen suchte man jedoch vergebens. Die Lehmwindelkonstruktion der Innenwände gilt, nach heutigen Maßstäben, zwar als ökologisch, spätestens wenn dort etwas halbwegs solide befestigt werden sollte, wurde aus Ökologie schnell Verzweiflung. Die Küche hatte einen gekachelten Betonfußboden, in den anderen Räumen liefen die Bewohner über Dielen.

Eine weitere, bautechnische Besonderheit wies die Wohnstube auf. Die Dielenbretter und Lagerhölzer waren direkt in Sand verlegt und in erstaunlich gutem Zustand. Diese Praxis war in Norddeutschland eher unüblich und in Süddeutschland und Österreich verbreitet. Auch wenn dazu in diversen Denkmalschützerforen hanebüchene Ratschläge verbreitet werden, diese Konstruktion galt als edel, weil man nicht über hohl klingende, knarzende Dielen lief. Die Konstruktion hatte auch eine akzeptable Lebensdauer, wenn zwei simple bautechnische Bedingungen konsequent eingehalten wurden. Zum einen muss der Unterbau zuverlässig Schädlinge und Kapillarfeuchtigkeit vom Holz fernhalten. Zum anderen muss der Gesamtaufbau diffusionsoffen bleiben. Das funktioniert natürlich nicht, wenn man dort mit Folien oder Dichtbahnen rumhantiert oder die Dielen mit Linoleum belegt.

Im Dachgeschoss war über der Hauptwohnung ein Wohnraum ausgebaut. Zu erreichen war die Stube, die eine Deckenhöhe von lediglich 1,80 Meter hatte, über die beschriebene Holzstiege zwischen den beiden Wohnungen. Genutzt wurde sie, je nach Erfordernis, mal von den Eigentümern, ein anderes Mal von den Einliegern, meist als Kinderzimmer. Wobei die Nutzung über einen Schlafraum hinaus unzweckmäßig war. Durch die fehlende Wärmedämmung war der Raum ohne Ofen im Sommer tagsüber extrem, also sauwarm und im Winter lausig kalt.

Diese hatte einen separaten Eingang von der Westseite des Hauses, der direkt in die Küche führte. Küche ist dabei eine nette Umschreibung für einen Raum von etwa sechs Quadratmetern mit fünf Türen und einem gusseisernen Waschbecken. An Möbel oder Geräten war dort, mit Not, ein Propangasherd, ein Küchenschrank und ein Regal unterzubringen. Die Türen führten, von der Eingangstür aus im Uhrzeigersinn gesehen, in einen Schlafraum, in den Treppenflur, in die Wohnstube und in eine Speisekammer mit Zugang zum Kriechkeller.

Der Abort befand sich auf dem Hof und war ein sogenanntes Plumpsklo oder, etwas verniedlichender, Herzhäuschen. Das war nichts anderes, wie eine Bretterbude von einem Quadratmeter Grundfläche mit einer Sitzbank, die ein Loch hatte, durch das die Geschäfte in einen darunterstehenden Eimer plumpsen konnten. Die Tür hatte oft eine herzförmige Sicht- und Lichtöffnung.

Von den Bewohnern vor dem großen Umbau in den 1930er Jahren ist mir nichts bekannt. Zwar hat Reinhold Griese die registrierten Eigentümerwechsel für die Gemeindechronik recherchiert, die Namen sind mir jedoch nicht geläufig und es sind auch keine Geschichten von ihnen überliefert. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn der gesellschaftliche Status als Büdner war eigentlich fast immer eine Übergangslösung. Damit lassen sich auch die häufig wechselnden Eigentümer erklären.

Mit Erwerb durch den Bauer Hans Barten im Jahr 1928 bekam die Büdnerei ein völlig neues Nutzungskonzept. In den Akten hat Reinhold Griese dazu zwar ermittelt, dass Hans Barten als gesetzlicher Vertreter für seinen minderjährigen Sohn Hansjoachim die Büdnerei erwarb. Da Bauer Barten zu dem Zeitpunkt bereits die Umstrukturierung seines Hofes zu einem Kohlzuchtunternehmen betrieb, war der Erwerb der Büdnerei wohl von vorneherein als strategisches Mietobjekt geplant. Ich denke, er hatte nie ernsthaft vor, seinen Sohn auf dem kargen Acker der Büdnerei verzweifeln zu lassen, sondern dort, zur langfristigen Bindung an seinen Betrieb, externe Spezialisten für Kohlanbau einzuquartieren. Mit diesem Konzept hätte er aber keine Kaufgenehmigung bekommen.

So bezogen, nach Abschluss der oben beschriebenen Sanierungsarbeiten die holländischen Gärtner Ari Houtkooper und (?) Boohm mit ihren Familien die Büdnerei. Nach Information von Sven Morwinsky, zog Gärtner Boohm nach kurzer Zeit wieder aus. Über die Gründe dazu ist nichts bekannt. Allgemein bekannt ist aber, dass es damals sehr ungewöhnlich war, eine komplette Büdnerei zu vermieten.

Leider war mein geschichtliches Interesse 1985/86, als ich persönlichen Kontakt zu Frau Minna Houtkooper, der Schwiegertochter von Ari Houtkooper, hatte, nicht so ausgeprägt wie heute. So bleiben viele Fragen zu damaligen Lebensumständen auf der Büdnerei wohl für immer unbeantwortet und mir bleibt nur, auf die wenigen bekannten Fakten zurückzugreifen und kombinatorische Schlüsse zu ziehen.

1949 kaufte Ari Houtkooper die Büdnerei von Hansjoachim Barten. Bis zum Tod der Familie Ari Houtkooper wohnten diese mit der Familie ihres Sohnes Otto Houtkooper, der die Büdnerei erbte, in dem Haus. Danach zog die Familie Manfred Milde, Geselle in der Reddelicher Stellmacherei Susemihl, in die Einliegerwohnung. 1985 verkaufte die Eigentümerin, Witwe Minna Houtkooper, die Büdnerei an die LPG (P) KÜHLUNG und zog zu ihrer Tochter nach Heiligenhagen. Ihre Wohnung blieb bis zum Abriss des Hauses weitestgehend leer. Sie wurde nur kurzzeitig als provisorische Übergangslösung bewohnt.

1993 tauschten meine Frau und ich unsere Wohnung mit den Mietern der Einliegerwohnung, der Witwe des zwischenzeitlich gestorbenen Manfred Milde, Irma Milde und ihrem Sohn Joachim. Wir hatten mit dem Bau unseres Eigenheims im Garten der Büdnerei begonnen und nahmen die dastischen Komforteinbußen hin, um dicht an der Baustelle zu wohnen. Allerdings richteten wir uns eine Nasszelle mit Dusche, Waschbecken und WC ein. Der Raum dazu wurde von einer temporär in der Hauptwohnung wohnenden Reddelicher Familie bereits dafür vorbereitet.

Unsere Freunde fanden die Wohnbedingungen bei Ihren Besuchen immer sehr romantisch, wenn wir in der, weil klein und niedrig, warmen Wohnstube zusammensaßen. Mir ist aber auch ein Phänomen aus alten, ofenbeheizten Häusern in Erinnerung geblieben. An kalten, windigen Tagen im Winter musste der Kachelofen volles Rohr befeuert werden, um auf eine akzeptable Raumtemperatur zu kommen. Dies führte dazu, dass im Umkreis des Ofens Saunatemperaturen herrschten, es unmittelbar am Fenster jedoch zugig und kalt war. Ein anderes Phänomen war der Bergmannsgang, den ich mir, nach unzähligen Beulen am Kopf durch Deckenberührung, angewöhnt hatte. Im neuen Haus brauchte ich einige Zeit, bis ich wieder aufrecht ging

Ulf Lübs, 2019

Ungewöhnlich ist die Führung als Doppelbüdnerei. Dass die Domanialbehörde dies seinerzeit zugelassen hat, deutet auf eine geringe Nachfrage nach Neubauernstellen zu Beginn des 19.  Jahrhunderts in Reddelich hin. Auch wird der karge, ertragsarme Boden dabei eine Rolle gespielt haben, der zur Büdnerei gehörte. Seit den 1970er Jahren wurde das zwischen Hof und Bach gelegene Land lediglich als Dauerweideland genutzt.

Zum allgemeinen geschichtlichen Erkenntnisstand passt die Erinnerung des Nachbarn, Heinz Utesch, an eine durchfahrbare Scheunendiele. Bis Anfang des 20.  Jahrhunderts wurde Getreide mit der Sense gemäht und zu Garben gebunden, die wiederum zu Hocken aufgestellt wurden. Die trockenen Garben wurden auf Leiterwagen hoch aufgeschichtet und in Scheunen zur Zwischenlagerung transportiert. Daher hatten die Scheunen eine Durchfahrtshöhe um die vier Meter. Durchfahrbar wurden die Scheunen gebaut, weil in der Ernte einfach nicht die Zeit war, die Leiterwagen rückwärts in die Scheunendiele zu schieben. Bei Einspännern ist das rückwärts Einparken schon kompliziert genug, bei Mehrspännern wird das schnell zu einer zirkusreifen Geschicklichkeitsübung. Pferde haben eben keinen Rückwärtsgang und laufen lieber vorwärts. Nun hatten die meisten Reddelicher Büdner keine Pferde. Die Bauern im Domanium waren jedoch verpflichtet, den Büdnern zu helfen, was über entsprechende Verordnungen genaustens geregelt war. Da war es umso wichtiger, dass Be- und Entladung zügig abliefen.

Die Getreidegarben wurden über dem Wohn- und Stallbereich bis unter das Dach gestopft, wo sie trocken und unter Aufsicht bis zum Drusch aufbewahrt wurden. In der arbeitsarmen Zeit wurden die Garben ausgedroschen und buchstäblich die Spreu vom Weizen (oder anderen Getreidearten) getrennt. Das Stroh kam wieder auf den Boden, wo es seiner Weiterverwendung als Einstreu fürs Vieh harrte und gleichzeitig eine prima Wärmedämmung für Wohnungen und Viehställe war. Der Druschabfall war eigentlich keiner, Spreu, Unkrautsamen sowie kleine Blatt- und Stängelteile nannte man Kaff und war ein idealer Einstreu fürs Federvieh. Überhaupt gab es auf einem gut geführten landwirtschaftlichen Betrieb so gut wie keinen Abfall. Irgendeine Verwertung fand eigentlich so ziemlich alles.

Das Ausdreschen des Getreides übernahmen seit je her Spezialisten, die Drescher genannt wurden. Zum einen bedurfte es Geschicklichkeit und Erfahrung, die Garben richtig auf die Scheunentenne zu platzieren und den Flegel mit der optimalen Kraft im richtigen Winkel auf das Stroh zu dreschen. Zum anderen war es eine Knochenarbeit, die schon eine solide Physis des Dreschers erforderte. Wer schon mal ein paar Schläge mit einem historischen Dreschflegel gewagt hat, kann ermessen, was es bedeutet, Stundenlang mit gleichbleibender Kraft auf Stroh einzuschlagen. Der Appetit dieser Arbeiter dürfte gewaltig gewesen sein. Da wird der Sinn des Sprichwortes »Der frisst ja wie ein Scheunendrescher« schon recht plastisch, den halbwüchsige Landjungs oft zu hören bekamen wenn sie am gemeinsamen Mittagstisch gut zulangten.

Im ausgehenden 19.  Jahrhundert wurden die klassischen Drescher nach und nach durch Maschinen ersetzt. Diese mechanischen Dreschkästen, zunächst mit Göpel- oder Dampfmaschinenantrieb konnten sich nur Güter oder reiche Großbauern leisten. 1909 wurde eine DAMPFDRESCHGENOSSENSCHAFT E.G.M.B.H. zu Reddelich gegründet, um auch kleinen Betrieben maschinellen Drusch zu ermöglichen. Ob der damalige Büdner, Heinrich Baade, dort Mitglied war, ist mir nicht bekannt. Mit Einzug von Verbrennungs- und Elektromotoren in die Landtechnik fanden mobile Dreschkästen eine weite Verbreitung. Der Drescher hieß jetzt Dreschsatzführer und war immer noch ein gefragter Spezialist auf den landwirtschaftlichen Höfen, bis sich ab Mitte des 20.  Jahrhunderts Mähdrescher durchsetzten. Diese erledigten die Mahd, den Drusch und die Reinigung des Korns in einem Arbeitsgang. Zwischenzeitlich brachten Mähbinder eine spürbare Erleichterung in der Getreideernte.

Aber diese Entwicklung betraf die Reddelicher Büdnerei № 5/6 schon nicht mehr. Wichtigstes Indiz für eine Umstellung der Büdnerei auf Viehhaltung im Nebenerwerb, war der Umbau der Scheunendiele zu einer Sackgasse. Nennenswerte Getreidegarben musste die Familie Houtkooper, die Bewohner nach dem Umbau, dort nicht mehr einlagern. Für Getreideanbau in größerem Umfang blieb dem Kohlspezialisten keine Zeit mehr, neben seinem Hauptjob auf dem Hof des Kohlbauern Barten.

Die Arbeitsorganisation auf der Büdnerei № 5/6 dürfte durchaus repräsentativ für die meisten Büdnereien der Region sein. Während der Büdner und Familienvater einer Lohnarbeit nachging, zumeist bei einem Bauern oder auf einem Gut, war die Ehefrau Zuhause die eigentliche Büdnerin. Sie hatte nicht nur den Haushalt zu führen und die Kinder zu versorgen, sie war auch zuständig für die tägliche Viehversorgung und für die Gartenarbeit. Frau Houtkooper hatte mindestens eine Kuh zu melken (laut Molkereibilanz von 1941) und zu füttern, sowie deren Kälber aufzuziehen. Nicht belegt, aber anzunehmen ist, dass mindestens eine Sau und deren Ferkel versorgt werden musste. Kleinvieh gehörte ohnehin zu jeder Landwirtschaft, mochte sie auch noch so klein gewesen sein.

Eine nicht zu unterschätzende Komponente zur Selbstversorgung war der Obst- und Gemüsegarten direkt am Haus. Jede Kalorie, die selbst erzeugt wurde, brauchte nicht eingekauft werden.

Die Feldarbeit war dann wieder eine Sache der ganzen Familie. Dass die Kinder in allen Bereichen der Wirtschaft anpacken mussten, war damals eine Selbstverständlichkeit. Was auf den knapp vier Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, die zur Büdnerei gehörte, im einzelnen angebaut wurde weiß ich nicht. Der Hauptteil wird Grasland zur Weide für die Rinder und zur Heugewinnung gewesen sein. Auch Futterrüben und Kartoffeln wird die Büdnerfamilie selbst angebaut haben.

1960 gründete Otto Houtkooper, gemeinsam mit sieben Reddelicher Büdnern die LPG REICHE ERNTE vom Typ I. Die LPGen vom Typ I waren in der Regel Alibi-Gründungen, bei denen die Mitglieder lediglich ihre landwirtschaftliche Nutzfläche in den neuen Betrieb einbrachten und gemeinsam bewirtschafteten. Eigentlich hätten die Gründer lieber alleine gewirtschaftet, aber der öffentliche Druck wurde einfach zu groß. Dem gaben sie durch Gründung einer Genossenschaft nach. In der herrschte das Prinzip: so wenig LPG wie nötig!

In sogenannter individueller Wirtschaft wurden bis Anfang der 1990er Jahre auch auf der Büdnerei № 5/6 Schweine und Kleinvieh gehalten.

Ulf Lübs, 2019


Die einfache und stillose Bauweise war dem Gebäude von allen Seiten anzusehen. Mit den häufig wechselnden Bewohnern bildete das Gebäude durchaus einen Durchschnitt ehemaliger Büdnereien in der Region ab. Die Eigentümer hatten andere Prioritäten als Wohnwertsteigerungen oder gar Schönheitsreparaturen. Dazu trug auch der langjährige Status der Bewohner als Mieter bei. In der DDR war der Verfall privater Bausubstanz zeitweise sogar politisch gewollt. Als ein langsames Umdenken einsetzte, war es bereits zu spät. Wovon hätte Frau Houtkooper das Haus auch instand halten oder gar verschönern sollen? Von den monatlich 15,- Mark Mieteinnahmen, die sie erhielt?

Aber nicht alle Missstände lassen sich den gesellschaftlichen Fehlentwicklungen anlasten. So ist von einem Mieter der Spruch überliefert: »Dat gehürt mi nich, also fat ick dor ook nix von an«. Freunde und Verwandte hatten ihm in den 1970er Jahren angeboten, für eine stets gefüllte Flasche Bier und Korn eine Nasszelle mit WC in seine Wohnung einzubauen. Seine prinzipientreue Ablehnung verschaffte ihm und seiner Familie noch lange Jahre Plumpsklo und Katzenwäsche.

Bezeichnend und wohl auch kein Einzelfall an Gleichgültigkeit ist auch, was ich bei Übernahme des Hause beobachtet habe. Ein Fallrohr vom Dach endete direkt in einer Regentonne, was ja an sich durchaus löblich war. Nun stand diese Blechtonne aber nicht gerade, sondern neigte sich etwas in Richtung Hauswand. So kleckerte überlaufendes Regenwasser an der Hauswand herunter. Die Durchfeuchtung bis in den dahinter liegenden Innenraum zeigte mir, dass es bereits seit geraumer Zeit kleckerte. Drei Minuten Arbeit, die Tonne in die andere Richtung zu neigen, brachte die Wand sofort zum Trocknen.

Durchaus bemerkenswert ist auch die Bewertungspraxis der Immobilie 1990 nach DDR-Recht. Der vereidigte Schätzer bekam für seine Gutachten strikte zentrale Vorgaben und hatte wenig eigenen Spielraum. Während das Haus, ein Abrisskandidat, zu einem fünfstelligen Betrag in DDR-Mark taxiert wurde, belief sich der Grundstückspreis auf 0,11 Mark der DDR – je Quadratmeter!

Artikel aktualisiert am 27.03.2024