Die Reddelicher Häuslerei Nr. 22

Bei ihr handelt es sich um die ehemalige Stellmacherei Susemihl in der Alten Dorfstraße, in der heute die Familie lebt. Gewerbe wird dort nicht mehr betrieben. Entstanden ist die Häuslerei nachdem die ehemalige Hofstelle der Hufe VI nach dem Großbrand von 1891 aufgeteilt und verkauft wurde.

Der erste Eigentümer wurde der Stellmacher Fritz Köpcke. 1898 kaufte der Rademacher Johann Thielke die Häuslerei.

Zur Volkszählung 1900 wohnten in der Häuslerei:

  • Der Stellmachermeister Johann Thielke (geb. 1874) mit Ehefrau Minna (geb. 1876) und Sohn Albert (geb. 1896), seiner Mutter Louise Thielke (geb. 1850) und dem Gesellen Herman Selk (geb. 1878).
  • Die Industrielehrerin Eleonore Hoop (geb. 1850).
  • Der Maurergeselle Heinrich Westendorf (geb. 1867) mit Ehefrau Sophie (geb. 1870) und den Kindern Wilhelm (geb. 1893), Bertha (geb. 1898) und Paul (geb. 1900).

Die Stellmacherei Susemihl gibt es seit dem 10. Juli 1907. Stellmacher war Hermann Susemihl. Im Jahr 1938 übergab Hermann Susemihl seinem Sohn Werner die Stellmacherei. Hermann kaufte sich in Brodhagen die Häuslerei Nr. 7. Er übernahm vom Vorbesitzer den Acker und die Wiesen, die von der Gemeinde gepachtet wurden und widmete sich dort bis zu seinem gewaltsamen Tod 1945 der Landwirtschaft. Werner Susemihl lebte vom 12. September 1910 bis zum 13. Januar 1958. Sein Sohn Horst übernahm die Stellmacherei. Sein älterer Sohn Klaus wurde am 28. 06. 1937 geboren und verunglückte am 18.  Dezember 1945 durch ein Militär-LKW der Besatzungstruppen.

1945 wohnten in der Häuslerei Werner Susemihl mit Familie und Otto Houtkooper mit Familie. Die Häuslerei wurde mit Einliegerwohnung gebaut, in der heute (2018) die Tochter der derzeitigen Eigentümer wohnt. Mieter der vergangenen Jahre waren unter anderem: Familie Otto Houtkooper, Willi Schuldt, genannt Veilchenwilli, Familie Köpke, die Mutter von Horst Susemihl (von 1972 bis 1973) und Familie Wersing.

1945 richtete die Rote Armee in der Häuslerei ihre Kommandatur für Reddelich ein. Für die Familie Susemihl bedeutete dies, ihr Haus binnen kürzester Zeit, nur mit dem was sie am Leib tragen konnten, zu verlassen. Der Sohn von Werner Susemihl, Horst, erinnert sich dazu:

Wir standen buchstäblich auf der Straße, bis Frau Wilsky (Häuslerei Nr. 39) meiner Mutter anbot, auf Ihrem Dachboden, wo bereits mehrere Flüchtlinge untergekommen waren, zu übernachten. Dort lagen wir wie die Heringe in der Dose auf den Dielen und konnten uns die Dachziegel von unten anschauen. Später kamen wir bei unseren Nachbarn, der Familie Westphal (Büdnerei Nr. 17) unter. Nach Auflösung der Kommandantur konnten wir wieder zurück in unser Haus. Leider sind in dieser Zeit viele Unterlagen abhandengekommen, dafür haben uns die Russen, wie wir trotz anderslautender, offizieller Sprachregelung zu den Sowjetsoldaten (oder Rotarmisten) sagten, kiloweise Gewehrmunition hinterlassen. Deren Besitz war bei Strafe verboten, also musste meine Mutter zusehen, wie sie diese schnellstens loswurden. Wenn ich mich richtig erinnere, hat meine Mutter die Munition irgendwo vergraben. Wo, sollten wir Kinder – verständlicherweise – nicht wissen.

2016

1958 musste Horst Susemihl die Stellmacherei übernehmen, weil sein Vater Werner früh und unerwartet starb. Neben der Arbeit absolvierte Horst Susemihl ein Meisterstudium, das er 1959 als Stellmachermeister abschloss. Seit den 1950er Jahren, bis zu seiner Pensionierung 1991, war der Geselle Manfred Milde aus Reddelich in der Stellmacherei angestellt. 1979 wurde die Werkstatt erweitert, indem der Westgiebel begradigt wurde.

Bauzeicnung zur Erweiterung der Stellmacherei 1979

1990 wurde auf dem Gelände der Häuslerei eine geräumige, helle Halle gebaut. Weichen musste dazu ein Schleppdach über einer Besäumsäge. 1993 bis 1998 war Heinz Garbe aus Steffenshagen der Geselle in der Firma. 2004 ging Horst Susemihl in Pension und die Stellmacherei wurde geschlossen. Die Werkstatt diente vorerst noch zu Hobbyarbeiten und kleinen Gefälligkeiten für Freunde und Bekannte. 2011 wurde die Werkstatt zu Wohnraum umgebaut.

Horst Susemihl gehört zu den letzten drei Stellmachern im Landkreis Bad Doberan. Ein aussterbender Beruf. Der Stellmachermeister in dritter Generation fertigt nur noch für den Eigenbedarf an.

Wehmut schwingt mit, wenn Horst Susemihl von seinem Beruf spricht. Der ehemalige Stellmachermeister hat ihn an den Nagel gehängt. Sein Berufsstand stirbt aus. Einen Nachfolger hat der Rentner nicht gefunden. Nun steht die große Werkstatt leer.

„Mein Großvater hat das Grundstück mit Werkstatt um 1907 gekauft", so Susemihl. Bis 1939 führte er die Geschäfte. Danach übernahm der Vater von Horst Susemihl die Stellmacherei. Von 1954 bis 1957 ging Letzterer in die Lehre. „Früher haben wir unter anderem Ackerwagen, Schubkarren, Leitern und Räder hergestellt. Alles Holzarbeiten. Später, als Gummiräder aufkamen, haben wir uns umorientieren müssen." Von nun an wurden Aufbauten für Autos und Wohnwagen gefertigt. Damit die landwirtschaftlichen Betriebe ihre Arbeiter zum Einsatz fahren konnten, bauten die Stellmacher so genannte Pritschen auf die Lastwa gen. Auch Reparaturarbeiten wurden erledigt.
Horst Susemihl musste wegen des frühen Todes seines Vaters schon mit Anfang 20 den Betrieb übernehmen. Kurz vorher hatte der Stellmacher seine Meisterprüfung abgelegt. Das war 1959. „Die Berufsbezeichnung leitet sich von den Gestellen ab, die wir bauten", erklärt der 66-Jährige. So unter anderem für einen kompletten Wohnwagen fahrender Zirkusleute. „Früher sind wir noch mit Genehmigung des Försters in den Wald gefahren, um das Bauholz selbst zu schlagen", sagt er.

Sein Vater hat mit gerade einmal drei Maschinen gearbeitet. Zwölf große und mehrere kleine hat der Sohn heute noch in derWerkstatt. „Meine Frau Irma musste damals mithelfen", sagt er. „Schleifen und spunden. Ich hatte nur einen Gesellen und Arbeit gab es viel." Wenn in der DDR Holz angeliefert wurde, war es noch grün. Zum Trocknen musste gestapelt werden. „Dann halfen auch meine beiden Töchter mit", so der Stellmachermeister. „Eine schwere Arbeit war das. Heute ist alles leichter." Vor allem Kopfrechnen und Vorstellungskraft muss ein Stellmacher besitzen. „Sonst geht gar nichts."
So ganz kann sich Horst Susemihl nicht vom Holz lösen. Ab und an entstehen noch Arbeiten für den Eigenbedarf. „Am Haus kann immer was gebaut werden."

SABINE HÜGELLAND, im Januar 2004


Anläßlich des 50. Meisterjubiläums des Stellmachers Horst Susemihl erschien in der RADUCLE Nr. 10 ein Porträt von ihm und seiner Familie, das nachfolgend Auszugsweise zitiert wird:

Von Klaus Kretschmann, November 2009

Horst Susemihl hat in Reddelich und Umgebung, zwischen Rostock, Neubukow und Kühlungsborn, vielfältige Spuren seines handwerklichen Könnens hinterlassen. Er erzählt, wie alles begann:

Ich kam 1939 als Reddelicher zur Welt. Schon mein Vater Werner Susemihl betrieb in Reddelich auf unserem Grundstück eine Stellmacherei, die er 1938 von meinem Großvater Hermann Susemihl übernommen hatte. Nach Abschluss der 8. Klasse wurde ich 1954 in Hohenfelde Lehrling bei dem Stellmacher und Karosseriebauer Werner Beyer. Nach dem Tod meines Vaters im Jahre 1958 übernahm ich dessen Werkstatt und begann ein Meisterstudium, welches ich am 15. 7.1959 erfolgreich als Stellmachermeister abschloss. Somit beging ich also in diesem Jahr mein 50-jähriges Meisterjubiläum.
Von Beginn an dabei war der inzwischen verstorbene Geselle Manfred Milde, der über 40 Jahre in der Stellmacherei Susemihl arbeitete. Im Jahre 1970 heiratete Horst Susemihl seine Frau Irma, die Anfang der 70er Jahre für die kaufmännische Führung des Betriebes verantwortlich wurde, aber auch aktiv in der Werkstatt mitarbeitete. (…)

Wir sprechen über die ersten Berufsjahre in Reddelich. Auftraggeber waren zuerst die Bauern aus Reddelich und Umgebung, später auch die LPG.

Wir reparierten unter anderem Ackerwagen, einzelne Speichenräder, stellten Leitern aller Art her oder arbeiteten an Toren für Ställe und Scheunen. Ein Ackerwagen war übrigens mein Meisterstück. Aber die Materialbeschaffung war oft das Problem. Morgens fuhr ich mit meiner Touren-AWO, einem Motorrad aus DDR-Produktion, zum Rostocker Osthafen, wo die zuständige ELG Metall (Einkaufs und Liefergenossenschaf) ihren Sitz hatte. Dort orderte ich, wenn ich Glück hatte, einen Stapel Holz, fuhr zurück nach Reddelich und lieh mir dort bei der MTS oder später bei der LPG einen Traktor mit Anhänger um das Holz abzuholen. Manchmal passierte es aber, dass mein Stapel in der Zwischenzeit von einem anderen Verkäufer aus Unkenntnis weiter verkauft worden war, so dass ich leer ausging.

Später wurden auch Arbeiten für größere Auftraggeber übernommen, so zum Beispiel für die Bäuerliche Handelsgenossenschaft (BHG), für den Konsum, für die Staatliche Forstwirtschaft, für den Kohlehandel und für dieGroßhandelsgesellschaft Obst und Gemüse (GHG). Aufträge betrafen jetzt unter anderem Ladeneinrichtungen, das Aufstellen von Baracken oder Aufbauten für LKW, die für den Personentransport umgerüstet wurden. Darum musste die alte Werkstatt durch einen Anbau erweitert werden. Als Transporter leisteten in den 1960er Jahren ein Kleintransporter Framo und später bis zum Ende der DDR auch ein Barkas B 1000 gute Dienste. »Der B 1000 wurde mir als schrottreifes Auto zugeteilt. Nach und nach habe ich ihn vom Kleinbus zum Transporter umgebaut, zum Glück aber auch mit einer Finanzspritze des Rates des Kreises Bad Doberan«, berichtet Horst Susemihl. Bis zum Jahr 1989 war Holz kontingentiert und auch Maschinen sowie Arbeitskleidung gab es nur auf Zuteilung. Dieses führte manchmal dazu, dass das Kontingent an Holz zum Jahresende auch eingekauft und eingelagert werden musste, wenn man im Jahr darauf keine Kürzung des Budgets hinnehmen wollte. Immer tatkräftig bei den Arbeiten dabei: Ehefrau und die beiden Töchter. So beim Entladen und Stapeln des Holzes. »Alles ohne Maschinen und manchmal bis hoch unter die Decke«, so Frau Susemihl.

Nach der Wende in der DDR fielen die ursprünglichen Auftraggeber weg. Private Auftraggeber wurden nun die vorrangigen Kunden. Fenster und Türen waren zu erneuern, Treppen oder Dachstühle mussten für den Um und Ausbau oder für den Neubau errichtet werden. Hinzu kamen unter anderem Carports, Marktbuden, Wintergärten und Lauben. »Ein besonderer Auftrag war 1995 die Herstellung eines Schaufelrades für das Wasserspiel im Rostocker Hopfenmarkt«, berichtet Horst Susemihl. Um den neuen Anforderungen gerecht zu werden, war Anfang der 90er Jahre die Werkstatt um eine Halle von 160 Quadratmetern erweitert worden und auch ein Transporter modernen Typs hatte den veralteten B 1000 abgelöst. Immer gefragt bis in die Gegenwart sind die traditionellen Handwerkstechniken des Stellmachers, sei es beim Aufarbeiten alter Holzspeichenräder für einen Jagdwagen für das Gut Vorder Bollhagen oder bei der Reparatur von Pferdekutschen. Manchmal mussten die morschen Räder von der Radnabe bis zu der Felge neu aufgebaut werden. Materialsorgen gibt es heute natürlich nicht mehr.
Aber neue, zuvor nicht gekannte Probleme tauchten auf. »Wir mussten nun oft unserem Geld hinterher laufen, was es in der DDR ja überhaupt nicht gab. Auftraggeber bezahlten nicht oder waren auf einmal unbekannten Aufenthalts.«, fügt Frau Susemihl ein. »Prozesse, um an sein Geld zu kommen, dauern viele Jahre und lohnen den Aufwand meistens nicht«.
Zum Jahresende 2004 ging Horst Susemihl dann in den wohlverdienten Ruhestand. (…)


Artikel aktualisiert am 24.03.2024