Die Reddelicher Häuslerei Nr. 33

Diese dürfte die wohl bekannteste Häuslerei Reddelichs sein, handelt es sich doch um die ehemalige Bäckerei in der Alten Dorfstraße. 1909 erwarb der Bäckermeister Richard Bernd aus Rostock von der Gemeinde das Grundstück, das als Häuslerei Nr. 33 ausgewiesen wurde, und errichtete darauf eine Bäckerei.

Im gleichen Jahr wurde das Grundstück an seine Ehefrau Anna übertragen, warum ist nicht überliefert. 1921 wurde ein Schuppen auf dem Grundstück gebaut. 1924 starb Richard Bernd. 1928 ließ die Eigentümerin einen Pferdestall errichten.

1930 verkaufte Frau Bernd, nachdem sie den Schneidermeister Johann Westphal aus Bad Doberan geheiratet hatte, die Bäckerei an den Bäckermeister Hans Möller aus Bützow.
1956 verpachtete Hans Möller die Bäckerei aus gesundheitlichen Gründen an den Bäckermeister Hübsch. 1960 verstarb Hans Möller.

1961 pachtete das Ehepaar Marienfeldt aus der Malchiner Gegend die Bäckerei. 1965 kauften die Pächter Marienfeldt die Bäckerei von Frau Möller. 1995 übernahm Ulf Marienfeldt die Bäckerei von seinen Eltern, die in den Ruhestand gegangen waren. Im September 1995 brachte der KÜSTENREPORTER einen Artikel über den Wechsel:

Bäckermeister Paul Marienfeldt und seine Frau Christine übergaben nach 34-jähriger Selbständigkeit am 1. August 1995 die Bäckerei an ihren Sohn Ulf und seine Partnerin Heike Tessmer, die seitdem den Familienbetrieb in bewährter Form weiterführen. Das heißt aber nicht, dass die Eltern nun die Hände in den Schoß gelegt haben oder auf Reisen gehen, nein, sie sind weiterhin für den Betrieb da, nur dass sie jetzt in der zweiten Reihe stehen. Den vielen Kunden möchte die Familie Marienfeldt auf diesem Wege für die Treue und das entgegengebrachte Vertrauen recht herzlich danken.

Die Bäckerei Marienfeldt ist im ganzen Kreis Bad Doberan bekannt und zu DDR – Zeiten setzte immer zu den Wochenenden eine wahre "Kundeninvasion" ein. Beutel und Taschen mussten mit Bestellungen für Brot und Brötchen gefüllt werden und es kam nicht selten vor, dass der Mitarbeiter eines Betriebes über 100 Brötchen für seine Kollegen mitbrachte.

Inzwischen sind Ladengeschäft, Lager und Backstube modernisiert und neu eingerichtet. Und ein neuer Backofen wurde gebaut, sodass für die Mitarbeiter beste – Arbeitsbedingungen vorherrschen. Auch heute ist es, trotz der vielen Mitbewerber in der Backstube und im Laden nicht ruhiger geworden. Die Gesellen Manfred Burmeister und Michaela Trost sowie Lehrling Astrid Glockzin und Verkäuferin Marion Gutmann haben alle Hände voll zu tun. Ob Brot oder Brötchen, Torten oder Kleingebäck, vielfältig ist das Angebot und nach wie vor werden täglich ca. 1500 Brötchen verkauft. Selbst in anderen Geschäften des Kreises, wie z. B. der Fleischerei Hackendahl, im Edeka Markt Neubukow und in den Landverkaufsstellen in Alt Bukow, Körchow, Russow, Jennewitz und Biendorf sind die Backwaren "Made in Reddelich" im Angebot. Trotz der vielen Arbeit setzt sich der Juniorchef , Bäckermeister Ulf Marienfeldt als Abgeordneter der CDU-Fraktion für die Belange der Gemeinde ein. Ganz in diesem Sinne ist auch das Engagement der Familie Marienfeldt, für die Kindereinrichtung der Gemeinde zu besonderen Anlässen Backwaren zu spenden. Dies ist ein typisches Beispiel für die allgemeine Spendenbereitschaft der ortsansässigen Firmen, wenn es um gemeinnützige Zwecke geht und der dörflichen Gemeinschaft dient.


Nach dem Freitod von Ulf Marienfeldt führte seine Frau Heike die Bäckerei bis zum Verkauf im Mai 2002 (1. Mai). Käufer war der Bäckermeister Mario Harms, der die Bäckerei bis um 2019 führte und mit seiner Familie dort wohnte.

von Reinhold Griese, im Juni 2009

Das Leben in Reddelich ist seit über hundert Jahren ohne die Bäckerei kaum vorstellbar. Während meiner Kindheit bin ich als ehemaliger Nachbar, besonders im Sommer bei offenen Fenstern, mit dem Duft von frischem Brot aufgewachsen. Natürlich habe ich auch viel über die Arbeit in dem Handwerksbetrieb erfahren. Gespräche mit dem Ehepaar Marienfeldt und mit Gerhard Köster aus Lübeck, dessen Vater Paul Köster dort 37 Jahre lang bei drei Bäckern als Brotfahrer angestellt war, gaben mir interessante Informationen über die hundertjährige Geschichte der Bäckerei. …

Bevor der Bäckermeister Richard Bernd sich in Reddelich niederließ, wurde das Brot auch in Reddelich auf einigen Bauernhöfen selbst gebacken. Ältere Reddelicher werden sich noch an die Backhäuser erinnern, die auf den Bauernhöfen von Wilhelm Kruth und Wilhelm Uplegger standen. Angefangen soll es mit der Bäckerei in Reddelich im jetzigen Hause der Familie Brüsehaber haben. Im Jahr 1909 ließ dann Richard Bernd die Bäckerei am heutigen Standort bauen. Bis zur Umstellung auf elektrischen Strom wurde die Teigknetmaschine durch einen Göpel – auch Rosswerk genannt – angetrieben. Der Rundganggöpel befand sich auf dem Nachbargrundstück. Das war eine mechanische Vorrichtung. An einem langen Hebel waren Pferde angespannt. Diese zogen im Kreis. Sie setzten über eine Vorrichtung aus Wellrädern als Transmission eine Hauptwelle in eine Umdrehungsgeschwindigkeit. Über diese Welle wurde dann die Maschine in eine rotierende Bewegung versetzt und somit der Teig geknetet.

Im Jahre 1924 verstarb Bäckermeister Bernd. Seine Frau führte den Betrieb bis 1930 weiter. Sie ließ noch im Jahre 1928 das hintere Gebäude von der Baufirma Elbrecht aus Bad Doberan errichten. Als sie dann den Schneider Westphal aus Bad Doberan heiratete verzog sie dorthin. Frau Bernd hat immer mit großem Interesse die weitere Entwicklung der Bäckerei aufmerksam verfolgt. Sie war noch 1962 in Reddelich und wollte »den neuen Bäcker kennen lernen«, wie sie sich ausdrückte. Das war inzwischen Paul Marienfeldt.

Vorerst geht unsere Geschichte aber noch weiter: Bäckermeister Möller erwarb 1930 den Handwerksbetrieb und führte ihn bis zum Jahre 1956. Aus gesundheitlichen Gründen übergab er ihn an den Bäckermeister Herrn Hübsch in Pacht. In all diesen Jahren bis 1960 versorgte die Bäckerei nicht nur über den Laden, sondern auch durch einen mobilen Handel die Bevölkerung von Reddelich und Umgebung vor allem mit Brot und anderen Backwaren. So gab es zwei Brotwagen und für den Winter sogar einen Schlitten mit einem Aufbau für das Brot. Paul Köster befuhr an vier Tagen in der Woche die Gemeinden Jennewitz, Steffenshagen, Wittenbeck, Hinter-, Klein- und Vorderbollhagen bis nach Kühlungsborn mit dem großen Brotwagen, einem Zweispänner. Die Tour nach Dorf und Hof Glashagen, Stülow bis zum Stülower Weg in Bad Doberan und Brodhagen fuhr der Bäckermeister mit einem Einspänner selbst, manchmal auch die Tochter Rita Möller. Als Paul Köster im Jahre 1958 in Rente ging war Herr Harder bis 1960 Brotwagenfahrer. Die Versorgung über Land wurde dann eingestellt. In diesen Jahren wurde neben der Bäckerei auch noch eine Landwirtschaft betrieben. Für die Bestellung des Ackers durch Paul Köster waren zwei Tage in der Woche vorgesehen. Neben den drei Pferden wurden auch noch Kühe, Schweine und Hühner gehalten.

Nach dem Krieg wurde die Backstube um den ehemaligen Laden, der über den Hausflur zu erreichen war, erweitert. Der neue Laden wurde vorne nach der Straße hin angebaut. Gebacken wurde mit einem sogenannten doppelherdigen Seitenfeuerungsofen, der mit Holz und Kohle geheizt wurde. Im Jahre 1951 schaffte sich Hans Möller neue Maschinen an, welche die Arbeit wesentlich erleichterten. Darunter war eine Teigausrollmaschine, die die Brotlaiber genau nach Gewicht und Größe ausrollte.

Am 1.  August 1961 übernahm das Ehepaar Paul und Christine Marienfeldt, die aus der Nähe von Malchin nach Reddelich kamen, die Bäckerei zuerst in Pacht. Im Jahre 1965 kauften sie diese von Frau Möller, Hans Möller war 1960 verstorben. Neben den Verkauf im Laden belieferte Paul Marienfeldt das Volkseigene Gut Vorderbollhagen mit einem Motorrad mit Beiwagen. Im starken Winter 1963 blieb er damit im Schnee stecken. Er erhielt dann unter großen Schwierigkeiten auf Antrag im April 1963 einen Wartburg Kombi. Beliefert wurden in den späteren Jahren fünf eigenständige Verkaufsstellen in Neubukow, Kröpelin und Kühlungsborn. Im Jahre 1976 wurde ein neuer doppelherdiger Dampfbackofen mit Kohlefeuerung und nach der Wende ein Dampfbackofen mit Ölfeuerung eingebaut. Dazu war es notwendig vier Behälter mit je 2000 Liter Heizöl zu installieren. Auch neue Maschinen wurden angeschafft.
Im Jahre 1995 übergaben die Marienfeldts die Bäckerei an ihren Sohn Ulf. Wobei sie beide sich nicht ganz zurückzogen, sondern ihrem Sohn mit Rat und Tat zur Seite standen.

Nach dem Tod von Ulf Marienfeldt kaufte das Bäckerehepaar Mario und Yvonne Harms die Bäckerei und betreibt diese bis zum heutigen Tag. Sie und ihre Angestellten schreiben die Geschichte der Bäckerei in Reddelich fort. Die Bäckerei in Reddelich zeugt von 100-jährigem Handwerkerfleiss über mehrere Generationen von Bäckermeistern, ihren mithelfenden Ehefrauen und Kindern, den Gesellen, Lehrlingen und Brotwagenfahrern. Sie versorgten in all den Jahren die Bevölkerung von Reddelich und Umgebung. Sie schauten nicht auf die vielen Arbeitsstunden in der Nacht und am Tage


2021 erwarb der Reddelicher Unternehmer Martin Elmer das Anwesen. Er riss das alte Gebäude ab und errichtete auf dem Grundstück ein Mehrfamilienhaus. Damit endet die Geschichte der Häuslerei Nr. 33.

Grundstück der ehemaligen Häuslerei Nr. 33 nach Abriss der Bäckerei 2021 [Foto: Stefan Peuß]

Artikel aktualisiert am 03.04.2024