Veränderungen in der Landwirtschaft des 19. Jahrhunderts

Das 19. Jahrhundert war eines der großen Veränderungen in der Landwirtschaft. Es begann mit der Bewirtschaftung der Bauernstellen durch leibeigene Hauswirte, denen auf ihren Hofstellen so gut wie nichts gehörte. Sie wirtschafteten wie ihre Vorfahren seit hunderten von Jahren. Die Söhne wurden früh in die Bewirtschaftung des des väterlichen Hofes eingebunden. Sie lernten durch abschauen, bestenfalls durch Erklärungen der Älteren. Ein unflexibles und erstarrtes System, das alles war, nur nicht innovationsfreundlich. Diese unflexible Wirtschaftsweise sorgte schon bei geringen Klimaabweichungen für Missernten und dadurch für Hungersnöte. Veränderungen wurden unumgänglich, zumal andere Länder Europas bereits viel fortschrittlicher waren.

Der erste Meilenstein zum Fortschritt war die Abschaffung der Leibeigenschaft. Die dadurch gewonnenen Freiheiten waren der Nährboden für weitere Reformen. Fleißig und mit Überlegung zu arbeiten zahlte sich nun auch für die Bauern von Reddelich und Brodhagen aus. Während aus Brodhagen wenig aus diese Ära überliefert ist, kann Reddelich mit Beispielen über die gesamte Bandbreite aufwarten. Acht der neun ehemaligen Hufen Reddelichs gingen aus den Reformen im Betrachtungszeitraum gestärkt hervor. Die Hufe IX schaffte es nicht, sie musste 1906 Insolvenz anmelden. Die Gründe dafür mögen vielschichtig gewesen sei, sind jedoch zuerst bei der Bewirtschaftung zu suchen: »Freiheit ist auch immer die Freiheit zu scheitern«

Intensivierung der Landwirtschaft

Die Zeit der Extensivierung der Landwirtschaft ging im 19. Jahrhundert zu Ende. Die nutzbaren Flächen in den Dörfern waren verteilt. Die Wirtschaft konnte nur noch über Maßnahmen zur Intensivierung wachsen. Das war auch in Reddelich und Brodhagen nicht anders.

Sehr bedeutsam war die Melioration von Landwirtschaftsflächen, deren Ergebnisse uns noch heute begegnen. Durch die Entwässerung von Niederungen und Senken konnte der Umfang landwirtschaftlich nutzbarer Flächen noch einmal deutlich erweitert werden. Zeugnis dafür ist nicht nur die Moehlenbäk, die als Vorflut in dieser Zeit geschaffen wurde. Auch kommen bei Grabungsarbeiten auf Feldern oder Wiesen oft Dränagen zum Vorschein, die aus dieser Zeit stammen und manchmal sogar noch funktionstüchtig sind.

Auch die Züchtung von neuen Pflanzensorten und Nutztierrassen war eine wichtige Intensivierungsmaßnahme. Diese wurden nicht mehr sporadisch auf den Höfen interessierter Landwirte vorgenommen. Dazu wurden spezialisierte Betriebe geschaffen, die in enger Zusammenarbeit mit Universitäten Grundlagenforschung betrieben und die Ergebnisse auch vermarkteten. Einen guten Namen haben seit dieser Zeit die agrarwissenschaftlichen Fakultäten der Uni Rostock.

Grundlagenforschung wurde auch auf dem Gebiet der Bodenfruchtbarkeit betrieben, deren Steigerung ein weiterer Intensivierungsfaktor ist. Teilbereiche zur Steigerung der Bodenfruchtbarkeit sind die mineralische und organische Düngung, Verbesserung der Bodenstruktur und Synergien durch Optimierung von Fruchtfolgen. Viele Erkenntnisse von damals, sind noch heute die Basis für die Ausbildung von Landwirten.

Eine nicht zu unterschätzende Maßnahme zur Intensivierung der Landwirtschaft stellte die Neuausrichtung bei der Ausbildung für Landwirte dar. Zunehmend wurde die Familie als Bildungsträger durch staatliche Institutionen abgelöst. Auch wenn nicht jeder Bauernsohn ein Studium absolvierte, schaffte alleine das Wissen über die Möglichkeit Veränderung.

In Reddelich gibt es zwei Beispiele für innovative Betriebe aus der Zeit. So übernahm 1888 der Ökonom – heute würde man Betriebswirtschaftler sagen – Peter Barten die Hufe III. Er und sein Sohn entwickelten den Hof zu einem hochmodernen Kohlzuchtbetrieb. Aber auch Obstbau betrieb die Familie in großem Stil. Ein anderes Beispiel war die Büdnerei № 16, deren Eigentümer es verstanden, die geringe Ausstattung mit Land durch Geschäftssinn auf anderen Gebieten zu kompensieren. So war es kein Zufall, dass diese Büdnerei bereits 1919 elektrifiziert wurde.

Versammlung deutscher Land- und Forstwirte 1841 in Doberan

Eine hochkarätige Leistungsschau der Landwirtschaft gab es 1841 in Doberan. Mecklenburg war Gastgeber der jährlich im deutschsprachigen Raum stattgefundenen Versammlung deutscher Land- und Forstwirte. Dabei handelte es sich um eine Großveranstaltung mit einem umfangreichen Programm über mehrere Tage. Der amtliche Bericht dazu, herausgegeben vom Oeconomierathe Dr. Alexander von Lengerke, Professor in Braunschweig, umfasst 400 Seiten. Dass diese Leistungsschau der deutschen Landwirtschaft in Mecklenburg stattfand ist für sich schon ein Beleg für die Veränderungen. Die 909 akkreditierten Teilnehmer der Veranstaltung waren, wenn man so will, die Elite der deutschen Landwirtschaft.

Mechanisierung der Landwirtschaft

Über Jahrtausende war die Hauptenergiequelle in der Landwirtschaft die Muskelkraft. Menschliche und tierische Leistungsfähigkeit begrenzte konstant über die Zeiten die Arbeitsleistung. Von Mechanisierung kann man, trotz Erfindung einzelner Hilfsmittel im 18. Jahrhundert, wie eine Dreschmaschine und die Dampfmaschine, erst ab Mitte des 19. Jahrhundert sprechen. Die Weltausstellung 1851 in Paris gilt im Allgemeinen als Startpunkt der Mechanisierung in Deutschland. Dort ausgestellte Maschinen verbreiteten sich rasch in Deutschland – in Mecklenburg allerdings mit reichlich Verzögerung.

Die Ersten, die sich beruflich umorientieren mussten, waren die Drescher. Sie hatten als gut bezahlte Lohnarbeiter mit dem Getreidedrusch auf den Gütern und großen Bauernhöfen oft bis in den Mai zu tun. Mit dem Tag, als der erste Dreschkasten auf den Hof kam, änderte sich dies schlagartig. Selbst einfache, mit Pferdegöpel betriebene Maschinen verkürzten die Druschzeit erheblich. Schnell setzte sich auch die Erkenntnis durch, dass solch eine Investition für einzelne Betriebe ineffektiv ist. In Reddelich führte die Gründung der DAMPF­DRESCH­GENOSSENSCHAFT e. G. m. b. H. zu Reddelich im Jahr 1909 zur Lösung des Problems. Für ein angeschafftes Lokomobil und die Dreschmaschine wurde ein Schuppen in Reddelich gebaut. Der Schuppen stand noch nach 1945 auf der linken Seite der Straße nach Steffenshagen hinter der Molkerei vor der Büdnerei № 8 von Hans Reincke.


Als nächstes konnten die Schnitter ihre Sensen Zuhause lassen. Zu deren Entlastung wurden Mähbinder erfunden. Zunächst von Pferden gezogen, mähten diese das Getreide, banden die Garben und legten diese seitlich ab. Die Mahd mit oszillierenden Messern wird noch heute bei den Mähdreschern angewendet.

Als Zugmittel blieb zunächst das Pferd die erste Wahl. Es wurde zwar schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Dampf betriebenen Zugmaschinen experimentiert. Durchgesetzt haben sich aber erst die mit Dieselmotoren bestückten Traktoren nach dem Ersten Weltkrieg. Und das auch nur sehr zögerlich.

Zur Mechanisierung gehört auch der Bau von Fabriken zur Verarbeitung von Landwirtschaftsprodukten. Auch wenn es so manchem vermessen erscheint, die 1887 erbaute Molkerei in Reddelich hat durchaus den Charakter einer Fabrik. Lohnarbeiter stellten dort, mit moderner Technik, Milchprodukte her. Die Gutsbesitzer und Bauern wurden zu Lieferanten, die keinen Einfluss auf die Produktion hatten. Lediglich in ihrer Funktion als Genossenschaftler, also als Miteigentümer, hatten sie über Stimmrechte an der Genossenschaft ein Mitspracherecht. Auch die 1890 in Wismar gebaute Zuckerfabrik ist ein Beispiel. Ob und wann Reddelicher Bauern Zuckerrüben angebaut hatten ist nicht bekannt. Mit dem Verladebahnhof der Bahn hatten sie aber eine günstige Transportmöglichkeit nach Wismar.

Ackerbau und Viehzucht

Hauptsäule im Ackerbau blieb der Getreideanbau. Alles was von den zu entrichtenden Abgaben und der Rücklage des Saatgutes übrig blieb, verwertete die Bauernfamilie für sich. Mit Verwertung ist die Eigenversorgung von Familie, Gesinde und Lohnarbeiter, die Verfütterung an das Vieh oder der freie Verkauf gemeint. Die kontinuierlichen Produktionssteigerungen im 19. Jahrhundert ermöglichten es den Bauern ihr Anbauspektrum auf Marktfrüchte auszudehnen. Das verschaffte, neben den Gütern, vorwiegend mittleren und größeren Bauern zunehmend die Möglichkeit, die Überproduktion lukrativ zu verkaufen. Sei es durch Tausch oder Verkauf auf den Märkten der prosperierenden Städte, oder Abgabe an Händler gegen Schuldverrechnung, und später auch gegen Bargeld. Beliebte Marktfrüchte in unserer Region waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Tabak, Raps und andere Ölfrüchte, sowie – wenn auch anfänglich sehr zögerlich – die Kartoffel.

Die Sparbüchse des kleinen Landmannes, der – wie die Güter und Bauern auch – zuallererst für den Eigenbedarf schuftete, war die Viehzucht. Dort wurde die überschüssige Feldproduktion verarbeitet. Die Grundausstattung mit Pferden, Rindern, Schafen und Schweinen wurde durch den Landesherren bei Pachtbeginn bereitgestellt und blieb als Hofwehr dessen Eigentum. Das Kleinvieh und die Nachzucht beim Großvieh gaben den Bauern die Möglichkeit, gemeinsam mit überschüssigen Ackerfrüchten, seine Steuerschuld zu begleichen. Wenn bei gutem Wirtschaften etwas übrigblieb konnte er damit Handel treiben.

Wie in anderen Landesteilen auch, war zur damaligen Zeit für die Bauern unserer Gemeinde die Pferdezucht am anspruchsvollsten, aber auch am lukrativsten. Diese war im Mecklenburg des 18. Jahrhunderts geprägt von einer großen Nachfrage nach den robusten und universell einsetzbaren Pferderassen, die auch für unsere Region charakteristisch waren.

Die Rinderzucht in Mecklenburg verdankte ihre abnehmende Bedeutung einer Produktion lediglich für den Eigenbedarf und, in geringem Umfang, für den regionalen Handel. Der Einsatz von Ochsen als Zugtiere wurde auch durch die hiesigen Bauern immer mehr durch Pferde ersetzt. Schließlich waren die 71 Pferde, die 1863 in unserer Gemeinde gezählt wurden nicht zum Spielen, sondern in erster Linie Nutztiere. Die Anzahl von knapp 200 Rindern in Reddelich (1863) lässt, entgegen der allgemeinen Einschätzung für Mecklenburg, nach der die Rinderproduktion seit Anfang des 19. Jahrhunderts rückläufig war, auf eine Milchproduktion zur Belieferung einer der aufkommenden Holländereien (später Molkerei) schließen. Die Errichtung der Molkerei Reddelich 1887 dürfte diese These belegen.

Der Hof Brodhagen lag dagegen, mit seiner stolzen Schafherde von über 400 Tiere (Stand 1863), voll im Trend seiner Zeit. dieser wurde durch eine große Nachfrage an Fasern jedweder Art befördert. Im Windschatten dieser immensen Nachfrage, entstand sicher auch die Wollfabrik in Doberan, die in zeitgenössischen Quellen Erwähnung fand. Die Belieferung mit Wolle aus der Produktion hiesiger Bauern ist im Einzelnen zwar nicht belegt, aber sehr wahrscheinlich.

Als eine der wenigen mecklenburgischen Spezialitäten, die um das Jahr 1830 überregionale Bedeutung besaßen, galten geräucherte Gänsebrüste. Während unsere Bauern sonstiges Federvieh, wie Hühner und Enten, zum Eigenbedarf, oder zum Direktverkauf auf den Märkten in Kröpelin oder Doberan hielten, war die Gänsehaltung für eine überregionale Vermarktung durchaus denkbar.

Nachsatz

Dass die Lage in Landwirtschaft Reddelichs Anfang des 19. Jahrhunderts nicht so Perspektivlos sein konnte, wie es manchmal suggeriert wird, zeigt die Lebensgeschichte des Heinrich Kruth von der Reddelicher Hufe V. Als 1812 sein Vater starb, war Heinrich acht Jahre alt. Auf dem Hof wurde ein Interimswirt eingesetzt, der den Hof bis 1831 führen sollte. Wenn Heinrich sich bis dahin nichts zu Schulden kommen ließ, sollte er den Hof übernehmen. Also ein klare Perspektive. Was landwirtschaftliche Arbeit bedeutete, lernte er früh, schließlich musste er auf dem Hof mit anpacken. 1825 wurde er herzoglicher Musketier und 1830 ehrenvoll aus dem Militärdienst entlassen. Als Mann im besten Alter stand ihm die Welt offen. Er jedoch entschied sich für den Bauernhof in Reddelich.

Artikel aktualisiert am 25.01.2024