Die Geschichte der Brodhäger Kalkbrennerei

Heute ist die ehemalige Kalkbrennerei ein versteckt wie idyllisch gelegenes Hofgrundstück außerhalb der Ortslage Brodhagen. Die Brodhäger Kalkbrennerei kann schon eine bemerkenswerte Geschichte aufweisen. Einerseits eine unterschätzte Industrieanlage, anderseits nicht leistungsfähig genug, seine Betreiber ausschließlich von der Kalkbrennerei zu ernähren. Die jeweiligen Kalkbrenner waren Pächter und erhielten Land zur landwirtschaftlichen Bewirtschaftung.

1611 wurde das Kalkvorkommen in Brodhagen entdeckt und eine Kalkbrennerei errichtet. Der erste, uns bekannte Kalkbrenner war Gottlieb Elsner (geb. 1761).

1798 wurde das Domanialamt Doberan angewiesen, für eine Steigerung der Produktion von Branntkalk zu sorgen. Für herzogliche Bauvorhaben in Doberan und Heiligendamm wurden große Mengen an Baumaterial benötigt.

1854 und 1869 wurden geologische Untersuchungen am Kalkberg in Brodhagen durchgeführt. Es wurden reichliche Kalkvorkommen in guter Qualität festgestellt.

1867, zur Volkszählung, lebten auf der Kalkbrennerei: Der Kalkbrenner Johann Herrmann (geb. 1821) mit Ehefrau Minna (geb. 1834) und den Kindern Dorothea (geb. 1850), Julie (geb. 1855), Carl (geb. 1859), Marie (geb. 1860), Fritz (geb. 1862) sowie Henriette (geb. Jan 1867)

1873 wurde der Kalkbrennerei Land zur landwirtschaftlichen Bewirtschaftung zugegeben, und der Pächter somit Büdner, auch wenn das Anwesen erst später offiziell als Büdnerei geführt wurde.

1900, zur Volkszählung, lebten auf der Kalkbrennerei: Der Kalkbrenner Carl Tiedtke (geb. 1838) mit Ehefrau Marie (geb. 1847) und den Kindern Heinrich (geb. 1874) der auch Kalkbrenner als Beruf angab, Marie (geb. 1880) und Otto (geb. 1878), der Kalkarbeiter als Beruf angab.

1912 war das Kalkvorkommen weitgehend ausgeschöpft und der Betrieb der Brennanlage unrentabel geworden. Die technischen Anlagen wurden abgerissen und der Hof mit dem zugehörigen Land als Büdnerei verkauft.


von Reinhold Griese, 2010

Eine Industrieanlage in dem kleinen Dorf Brodhagen? Grenzt das nicht an Übertreibung? Im Jahr 1905 wird in einer Beschreibung des Hofes Brodhagen die Kalkbrennerei als Industrieanlage bezeichnet. Nach den damaligen Verhältnissen mag das stimmen. Es wurde sogar erwogen, eine Zementfabrik in Brodhagen zu errichten.

Was ist uns über die Kalkbrennerei in Brodhagen überliefert? Ich konnte ermitteln, dass im Jahre 1611 das Kalkvorkommen in Brodhagen entdeckt und eine Kalkbrennerei errichtet wurde. Es gibt Vermutungen, dass das Doberaner Münster mit Kalk aus Brodhagen erbaut wurde. Dafür habe ich jedoch keine Belege gefunden. Im August 1798 forderte der Herzog die Beamten des Amtes Doberan auf, zügig eine neue Kalkbrennerei zu errichten, da in der Gegend viele Bauten geplant seien. Gemeint waren der Aufbau des Ostseebades Heiligendamm und des Palaisgebäudes in Doberan.

Gottlieb Elsner (Jahrgang 1761) aus Satow wurde als Kalkbrenner eingesetzt. Er lebte mit seiner Frau und drei Kindern in Brodhagen.

Überliefert sind Lohnrechnungen aus dem Jahre 1799 für Arbeiten zum Aufbau der Kalkbrennerei. Aus den exakt geführten Listen über die Einnahmen und Ausgaben der Kalkbrennerei geht hervor, dass z. B. im Jahre 1809 über 25 Last ( ≈ 2 t) Kalk zum Palaisbau geliefert wurden. In den folgenden Jahren wurden für Wohnbauten in der näheren Umgebung, für das Schulgebäude in Reddelich, für die Arbeiten an den Kirchen in Doberan und Lichtenhagen und für Bauten auf dem Pachthof Vorder Bollhagen Branntkalk zur Verfügung gestellt.

Regelmäßig waren Reparaturarbeiten an den Gebäuden und Anlagen der Kalkbrennerei notwendig. Im Jahre 1840 wurden 6000 Ziegelsteine zur Reparatur der beiden Brennöfen und der äußeren Mauer, Tannenbretter zum Bau der Trockenscheunen und Eichenholz für die Laufbrücken verarbeitet.

Mit dem Sohn von Gottlieb Elsner, Friedrich, wurde 1842 ein Pachtkontrakt über die Kalkbrennerei für achtzehn Jahre abgeschlossen. Aus diesem Pachtvertrag geht hervor, dass der Kalkbrenner kein selbstständiger Unternehmer war. Er durfte keinen Kalk auf eigene Rechnung brennen. Der Kalk wurde vom Amt in Doberan bestellt. Er war für herrschaftliche Bauten vorgesehen oder wurde verkauft. Der Kalkbrenner musste im Jahr vorher das notwendige Brennmaterial, Holz und Torf, ankaufen. Für die Kalkbrennerei mit der dazugehörigen Büdnerei wurde keine Pacht erhoben. Der Kalkbrenner erhielt einen sogenannten Brennlohn. Die Qualität des erzeugten Kalkes wurde nach jedem Brand begutachtet. Bei minderer Güte des Kalkes musste der Kalkbrenner eine Entschädigung zahlen. Er hatte außerdem folgende Abgaben zu zahlen: Beiträge zur Armenkasse und für die Schule, Prediger- und Küstergebühren, Anteile an geistlichen und Schulbauten sowie Hebammengebühren. Ferner hatte er den Mahlzwang einzuhalten und ein Schmied wurde ihm angewiesen. Jährlich musste er vier Scheffel Salz von der Amtssaline von Sülze beziehen und ohne Zustimmung des Amtes durfte er auch keine Leute bei sich aufnehmen. Dazu musste er eine Kaution zahlen, die mit vier Prozent verzinst wurde.

Der Pächter Burmeister aus Vorder Bollhagen wurde zum Administrator zur Beaufsichtigung des Kalkbrenners ernannt. Als er bald darauf starb, wurde der Pächter Seer von Hof Brodhagen dafür benannt.

Aus den Bestimmungen des Pachtvertrages geht hervor, dass die Tätigkeit des Kalkbrenners vollständig reglementiert war. Er konnte keine Eigeninitiative zur Ertragssteigerung entwickeln. Offenbar war diese seine abhängige Beschäftigung die Ursache, dass der Kalkbrenner Friedrich Elsner mit seiner Familie im Jahre 1856 seine Heimat verließ und nach Amerika auswanderte.

Im Jahre 1854 und 1869 wurden geologische Untersuchungen am Kalkberg in Brodhagen durchgeführt. Es wurden reichliche Kalkvorkommen in guter Qualität festgestellt.

Für den Zeitraum von 1873 bis 1894 pachtete Philipp Seer den Hof Brodhagen, ab 1882 C. Fabricius. Die Kalkbrennerei gehörte zum Hof. Bei der Regulierung der Feldmark von Obersteffenshagen wurden der Kalkbrennerei 3916 Quadratruten (≈8,23 ha) Ackerland zugeschlagen.

Seit 1866 ist ein Rückgang der Produktion der Kalkbrennerei zu verzeichnen, da weniger Kalk abgenommen wurde. Die Kalkbrennerei sollte mindestens fünfzehn Brände im Jahr schaffen. Danach wurde die Jahrespacht berechnet. Diese fünfzehn Brände wurden aber nicht erreicht.

Bei der Volkszählung im Jahre 1890 wurden auf Hof Brodhagen 62 Einwohner festgestellt, darunter der Pächter der Kalkbrennerei, der Ziegler Johann Maykohp.

Der Hausgutpächter Ökonomierat R. Burmeister von Vorder Bollhagen pachtete 1894 die Kalkbrennerei. Im Jahre 1900 werden als Kalkbrenner Carl Tiedke (Jahrgang 1838) mit Frau und drei erwachsenen Kindern genannt, die gemeinsam die Arbeit verrichteten. Zum Anwesen der Kalkbrennerei gehörten neben dem Wohnhaus ein Stallgebäude, ein Ringofen mit Schornstein, der Maschinenschuppen, das Gebäude mit der Stampfe und der Materialienschuppen.

Im Jahre 1912 lief der Pachtvertrag für die Kalkbrennerei aus. Die Kalkerde wurde untersucht. 100 kg wurden an das Königliche Materialprüfungsamt in Berlin-Lichterfelde eingesandt. Der Prüfbericht vom Mai 1912 erbrachte folgendes Ergebnis: »Der Kalkgehalt aller Proben ist mithin sehr niedrig und wird durch Schlämmen nur wenig erhöht. Er ist zur Herstellung von Maurermörtel geeignet.« Es wurde noch ein weiterer Versuch durchgeführt, der folgendes ergab:

Der technische Wert des Kalkes ist nach den vorliegenden Prüfungsergebnissen nur gering. Es ist ein sehr schwach hydraulischer Kalk, der nur geringe Festigkeit liefert und zwar in der unmittelbaren Nähe des Herstellungsortes für Hochbauzwecke, aber im weiteren Umkreis im Wettbewerb mit dem hydraulischen Kalk Mitteldeutschlands unterliegen würde. Dieser Umstand würde bei Ermittlungen des wirtschaftlichen Wertes des Lagers entsprechend Berücksichtigung finden müssen.


Aufgrund dieser Untersuchung wurde die Kalkbrennerei zur Fortsetzung des Betriebes nicht mehr verpachtet. Die Produktionsstätten wurden abgerissen und das Gelände wurde eingeebnet. Die Ländereien von etwa zehn Hektar wurden als Büdnerei an Fr. Höppner, Inhaber einer Dampfziegelei in Rostock-Papendorf verkauft, der diese Büdnerei verpachtete. Der Pächter Christian Zickert kaufte die Büdnerei 1933 aus der Konkursmasse der Ziegelei. In dem Wohnhaus auf der Kalkbrennerei wohnte damals der alte Kalkbrenner Tiedke mit seiner Frau und seinem erwachsenen Sohn.

Nach 1945 wurde im Tagebau noch Kalkmergel von Bauern gewonnen, die damit ihre Äcker düngten. Heute liegt das Gelände des Tagebaus weitgehend brach und die Abbaugrube ist mit Wasser vollgelaufen. Das ehemalige Wohnhaus des Kalkbrenners steht noch und wird von der Familie Zickert, Nachfahren des ersten Büdners auf der ehemaligen Kalkbrennerei, bewohnt.

Nachtrag:
Kalkbrennen ist seit dem Altertum bekannt. Kalkbrenner ist ein alter Beruf, darauf deutet der Nachname Kalkbrenner hin. Kalk, wie es in der Natur vorkommt, ist Calciumcarbonat (CaCO ₃ ). Das Mineral wird beim Kalkbrennen in einem Brennofen bei einer Temperatur ab 1000° C umgewandelt. Dabei entweicht Kohlendioxid (CO₂ ) und es entsteht Calciumoxid (CaO), also Branntkalk. Der technische Kalkkreislauf wird durch das Löschen des Kalkes mit Wasser und Abbinden an der Luft geschlossen.

1956 fasste der Rat des Kreises den Beschluss, die Kalkproduktion in Brodhagen wieder Aufzunehmen. Dazu wurde ein konkreter Arbeitsplan aufgestellt. In diesem waren Zuständigkeiten, Fristen und Kontrollinstanzen klar geregelt. Bis Oktober 1956 sollten, in Zusammenarbeit mit dem geologischen Institut der Uni Rostock, Probebohrungen getätigt und ausgewertet, Rentabilitätsberechnungen sowie Umfang des Vorkommens ermittelt werden. Produktionsstart sollte 1957 sein. Projektleiter war ein Kollege Matschke, Leiter der Abteilung Aufbau beim Rat des Kreises. Bis 23. Oktober sollte die Finanzierung des Projektes geklärt und bis 15. November die Projektierung abgeschlossen sein.

Der 1. November war der Termin bis zu dem ein Erfahrungsaustausch mit dem Kalkwerk Elbingerode durchzuführen war. Von dort sollten auch Fachkräfte zur Einarbeitung der Brodhäger Kollegen kommen. Bis zum 15. Dezember hatte der Projektleiter Zeit, die nötigen Maschinen zu besorgen und die Unterbringung der Arbeiter zu organisieren. Unmittelbar nach Beschlussfassung wurde die Abteilung Arbeit und Berufsausbildung beauftragt, sofort mit der Arbeitskräftelenkung und der Wohnraumbeschaffung zu beginnen.

Warum aus dem Projekt offenkundig nichts wurde, war den Akten nicht zu entnehmen. Am Wahrscheinlichsten ist ein zu geringes Vorkommen an abbauwürdigem Kalk. Die Bergleute hatten zu Beginn des 20. Jahrhunderts schon ihre Gründe, den Kalkabbau in Brodhagen einzustellen. So blieben für Brodhagen, nach dem kurzen "Sturm im Wasserglas" noch viele Jahre der Beschaulichkeit.


Artikel aktualisiert am 22.03.2024